12 Fragen zum Leichtbau an Michael Kellner

In der Serie „Köpfe der Leichtbauwelt“ geben wir dem Leichtbau ein Gesicht und stellen auf Leichtbauwelt in loser Folge Menschen vor, die an den Schlüsselpositionen in unterschiedlichen Branchen und Funktionen tätig sind.

Der Parlamentarische Staatssekretär Michael Kellner ist seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages. In dieser Funktion vertritt er Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, spricht für das Ministerium im Fachausschuss, in Bundestag und Bundesrat. Außerdem kümmert sich Michael Kellner um Themen wie Industriepolitik, kleine und mittelständische Unternehmen. Seit Januar 2022 ist er Beauftragter der Bundesregierung für den Mittelstand und damit unter anderem auch Ansprechpartner für Fragen zur Leichtbaustrategie des Bundes.

Leichtbauwelt: Herr Staatsekretär Kellner, welchen besonderen Herausforderungen begegnen Sie in Ihrem persönlichen „Leichtbau-Alltag“, in Gesprächen mit Unternehmen und Forschungsinstituten?

Michael Kellner: Ehrlich gesagt, glaube ich, dass viele Menschen außerhalb der Leichtbau-Community nicht auf Anhieb etwas mit dem doch etwas sperrigen Begriff „Leichtbau“ anfangen können. Zu erklären, was Leichtbau ist und kann, ist deshalb eine echte Herausforderung, der ich mich gerne stelle.
Außerdem brauchen wir interdisziplinäre Lösungsansätze und Netzwerke, um das volle Potential des Leichtbau zu entfalten und den Nutzen für Gesellschaft, Wirtschaft und den Klimaschutz zu kommunizieren. Hier hat die Initiative Leichtbau des BMWK schon sehr viel gemeinsam mit der Leichtbau-Community geleistet. Einen weiteren Schub erhoffe ich mir von der Leichtbau-Strategie der Bundesregierung und dem novellierten Technologietransfer-Programm Leichtbau des BMWK, das im April 2020 gestartet ist.

„Wir brauchen interdisziplinäre Lösungsansätze und Netzwerke, um das volle Potential des Leichtbau zu entfalten und den Nutzen für Gesellschaft, Wirtschaft und den Klimaschutz zu kommunizieren.“

Leichtbauwelt: Das ist auch einer der Gründe, warum Leichtbauwelt vor fast fünf Jahren entstand, als Wissens- und Inspirationsplattform rund um den Leichtbau. Aber Sie haben völlig Recht, auch wir machen diese Erfahrung tatsächlich immer wieder. Was bedeutet denn Leichtbau für Sie nun – beruflich und persönlich?

Demonstratoren, Vergleich Stahl-und Carbonstab sowie Textilbeton. (Quelle: C3-Verein)

Michael Kellner: In erster Linie bedeutet Leichtbau für mich Ressourceneffizienz, das heißt Material- und Energieeinsparungen in der Produktherstellung und -nutzung. Ich denke da zum Beispiel an das Bauwesen, da hier enorme Einsparpotentiale durch den Leichtbau vorhanden sind. Aufgrund der riesigen Rohstoffmengen, die verbaut werden, können bereits wenige Prozente eingespartes Material große Effekte haben. Beispielsweise kann der Einsatz von Carbonbeton den Energieverbrauch und den Verbrauch von klimaschädlichem Zement bei der Herstellung von Betonbauteilen im Vergleich zu herkömmlichem Stahlbeton drastisch reduzieren.
Darüber hinaus ist Leichtbau natürlich in der Mobilitätsindustrie überall dort zu finden, wo es um das Beschleunigen oder Abbremsen von Massen geht. Aus den Bereichen Luftfahrt und Automotive kommen großartige Innovationen. Ein weiteres Beispiel sind Rotorblätter von Windkraftanlagen: Hier sind hochleistungsfähige Leichtbauwerkstoffe unabdingbar. Auch Wasserstofftechnologien benötigen Leichtbaulösungen. So ermöglichen etwa Druckbehälter in Leichtbauweise Durchbrüche bei der Speicherung und beim sicheren Transport von Wasserstoff.
Ganz persönlich denke ich beim Leichtbau als erstes an den Roman „Der geteilte Himmel“ von Christa Wolf. Denn der Leichtbau ist bereits dort ein Thema, wenn auch nur am Rande. (Anm. d. Red.: Die Erzählung erschien 1963.)

Leichtbauwelt: Als abstrakte Denkweise steht aber der Leichtbau im Wettbewerb um Aufmerksamkeit gegen im Alltag sehr präsente Themen wie Energieknappheit, begrenzte Ressourcen und den Klimawandel. Wie schätzen Sie die Chancen des Leichtbaus im Kampf um Aufmerksamkeit und Fördermittel ein?

Michael Kellner: Hoch. Wir haben die Fördermittel für das Technologietransfer-Programm Leichtbau (TTP LB) fast verdoppelt. Zukünftig stehen rund 130 Millionen Euro im Jahr für das TTP Leichtbau bereit. Das ist ein toller Erfolg!

Leichtbauwelt: Der Leichtbau steht also klar in Zusammenhang zu diesen sehr greifbaren Herausforderungen und Zukunftstechnologien?

Michael Kellner: Ja, wir konnten das durchsetzen, weil sich Leichtbau gleich mehrfach auszahlt:

  • Im Hinblick auf den Klimaschutz, indem Treibhausemissionen gesenkt werden.
  • Hinsichtlich der Ressourcenschonung und der sicheren Rohstoffversorgung, indem durch Leichtbaulösungen der Verbrauch von Primärrohstoffen reduziert wird.
  • Und nicht zuletzt im Hinblick auf den Erhalt eines innovativen, zukunftsfähigen Industriestandorts. Hier kann Leichtbau dazu beitragen, hochqualifizierte Arbeitsplätze gerade auch im Mittelstand zu sichern und eine nachhaltige Wertschöpfung zu gewährleisten.

Leichtbauwelt: Welche Bedeutung nimmt der Leichtbau als Teil Ihrer Arbeit für den Mittelstand ein? 

Michael Kellner: Der Mittelstand ist bei der Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise zentral und der Leichtbau unterstützt diese Entwicklung: Ressourcen- und energieeffiziente Leichtbautechnologien werden maßgeblich dazu beitragen, Wirtschaftswachstum und Rohstoff- sowie Energieverbrauch nachhaltig voneinander zu entkoppeln.

Mitte Juni 2022 wurde das LEIV eröffnet – als Zentrum und als offene und unabhängige Leichtbau-Forschungsplattform (Quelle: Lubiger-Weltsichten.de | ILK TU Dresden)

Es ist gut und wichtig, dass sich Deutschland im Wettbewerb um grüne Schlüsseltechnologien auch mit Hilfe des Leichtbaus als Vorreiter positioniert und Zukunftsthemen aktiv vorantreibt. Als wichtiger Hebel hat sich hier das TTP LB erwiesen. Mit aktuell 162 geförderten Projekten mit einem Fördervolumen von rund 250 Millionen Euro ist das Programm eine Erfolgsgeschichte, insbesondere aufgrund der hohen Beteiligung innovativer Unternehmen aus dem Mittelstand: Etwa 70 Prozent der Projektpartner sind Industrieunternehmen, davon sind wiederum etwa 70 Prozent KMU aus verschiedensten Branchen. Diese kooperieren meist in Verbundprojekten mit führenden Forschungseinrichtungen und Hochschulen, was uns hilft, den notwendigen Wissenstransfer aus der Wissenschaft in die Praxis erheblich zu beschleunigen.

Leichtbauwelt: Gibt es dafür bereits Beispiele?

Michael Kellner: Damit die Industrie und insbesondere der Mittelstand die großen Chancen des Leichtbaus für die Transformation nutzen können, müssen wir wie gesagt den Wissenstransfer aus der Wissenschaft in die Praxis beschleunigen. Ein Beispiel aus dem Förderprogramm ist hier etwa das Nationale Leichtbau-Validierungszentrum (LEIV) in Dresden, das durch eine Anschubfinanzierung des TTP Leichtbau realisiert werden konnte. Mittelständische Unternehmen haben hier die Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit nachhaltiger Leichtbautechnologien im industriellen Maßstab zu demonstrieren. Das LEIV und andere Reallabore sind für mich eine entscheidende Weichenstellung für die erfolgreiche Transformation.

Ehrgeizige Ziele: das neue Leichtbau-Validierungszentrum

Leichtbauwelt: Sie hatten vorhin von einem „novellierten“ Technologietransfer-Programm Leichtbau (TTP LB) gesprochen. Was bedeutet die Novellierung des Programms für förderinteressierte Unternehmen und Forschungseinrichtungen?

Michael Kellner: Hier gibt es in der Tat sehr erfreuliche Neuigkeiten: Das TTP Leichtbau wird ab 2023 mit erheblichen zusätzlichen Mitteln aus dem Klima- und Transformationsfonds ausgestattet. Zusätzlich zu den bereits vorhandenen 69 Millionen Euro pro Jahr kommen 2023 nochmals 40 Millionen Euro und ab 2024 insgesamt 60 Millionen Euro pro Jahr hinzu. Damit ergibt sich in der aktuellen Finanzplanung bis 2026 ein Gesamtbudget von 496 Millionen Euro. Für uns ist das ein großer Ansporn, die Schlagkraft und Attraktivität des Programms weiter zu steigern. Hierzu werden wir in den kommenden Monaten eine überarbeitete Förderrichtlinie für das Programm veröffentlichen. Wir wollen im Bereich Materialeffizienz noch passgenauer fördern und einen deutlicheren Fokus auf die Kreislauffähigkeit und das Recycling im Leichtbau setzen, um zu nachhaltigen Leichtbaulösungen im Sinne einer zirkulären Wirtschaft beizutragen. Hier sehe ich noch viel Potenzial im Bereich Forschung, Entwicklung, Transfer und Innovation.

„Das TTP Leichtbau wird ab 2023 mit erheblichen zusätzlichen Mitteln aus dem Klima- und Transformationsfonds ausgestattet. Zusätzlich zu den bereits vorhandenen 69 Millionen Euro pro Jahr kommen 2023 nochmals 40 Millionen Euro und ab 2024 insgesamt 60 Millionen Euro pro Jahr hinzu. Damit ergibt sich in der aktuellen Finanzplanung bis 2026 ein Gesamtbudget von 496 Millionen Euro.“

Leichtbauwelt: Wie wird das Thema Leichtbau im BMWK und der Initiative Leichtbau für 2023 und die folgenden Jahre bewertet?

Michael Kellner: Die Initiative Leichtbau des BMWK leistet hervorragende Arbeit für die Vernetzung der unterschiedlichen Leichtbau-Akteure auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Dabei hat sich der interdisziplinäre, branchen- und materialübergreifende Ansatz bewährt, um die unterschiedlichen Perspektiven und Anwendungen zusammenzubringen. Darauf bauen wir auf, denn wir haben 2023 und in den nächsten Jahren viel vor. Unser Ziel ist, den Leichtbau als Innovationstreiber für nachhaltiges und ressourcenschonendes Wirtschaften zu etablieren.

Leichtbauwelt: Mit welchen Maßnahmen plant das BMWK den Leichtbau und Leichtbau-Projekte 2023 zu unterstützen – zusätzlich zum TTP LB?

Michael Kellner: Aktuell erarbeiten wir die Leichtbaustrategie der Bundesregierung, die auch Maßnahmen für eine zusätzliche Unterstützung der Leichtbauakteure enthalten wird. . Insgesamt sind sechs Ministerien der Bundesregierung hieran beteiligt – das zeigt, was für ein Querschnittsthema der Leichtbau ist.  Zentrale Themen der Strategie werden Klimaschutz, Kreislauffähigkeit, Recycling, Materialeffizienz, Ressourcenschonung und sichere Rohstoffversorgung sein.

Leichtbau ist für mich persönlich …
~ … heute wichtiger denn je.

Die größte Herausforderung im Leichtbau ist …
~ … die Vernetzung in dieser ausgeprägten Querschnittstechnologie.

Der wichtigste Trend im Leichtbau ist aktuell …
~ … die Kreislauffähigkeit der Lösungen.

Leichtbau und Mobilität …
~ … sind untrennbar miteinander verbunden.

Leichtbau ist eine Schlüsseltechnologie für den Klimaschutz, weil …
~ … jedes Gramm, das nicht gebraucht wird, Ressourcen und Energie spart.

Leichtbauwelt: Leichtbau funktioniert am besten im Netzwerk. Viele der aktuellen Leichtbau-Projekte werden von Partnern aus ganz Europa umgesetzt. Wird der Leichtbau-Gedanke in der europäischen Förderlandschaft bereits angemessen berücksichtigt?

Michael Kellner: Es gibt meines Wissens zahlreiche Förderprogramme und Zuschussmöglichkeiten auf EU-Ebene, die für Leichtbauvorhaben in Anspruch genommen werden können. Über zusätzliche Fördermittel muss auf europäischer Ebene entschieden werden. Aber wenn Sie mich fragen: ich hätte nichts dagegen, wenn die Umsetzung des Green Deals durch eine verstärkte Leichtbauförderung forciert werden würde.
Wichtig ist für mich, dass mit dem TTP Leichtbau des BMWK zukünftig auch Kooperationen im europäischen Raum über passgenaue Förderinstrumente wie EUREKA und ERA-NET gefördert werden können.

Leichtbauwelt: Mit dem ELN, der ELCA und der ELA gibt es drei europäische Leichtbaunetzwerke unterschiedlicher Ausrichtung. Wie wird sich das Thema Leichtbau nach Ihrer Ansicht im europäischen Kontext weiterentwickeln?

Michael Kellner: Im europäischen Binnenmarkt müssen Klimaschutz, Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft auch europäisch gedacht werden. Vernetzung ist ein Muss, wenn wir Leichtbau gemeinsam in Brüssel und Straßburg weiter aufwerten und sichtbarer machen wollen, damit er seinen Beitrag zur erfolgreichen Umsetzung des Green Deals leisten kann. Die drei europäischen Netzwerke aus Exekutive, Wissenschaft und Wirtschaft sollten sich zukünftig idealerweise ergänzen und verstärken.
Als BMWK haben wir unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2020 das European Lightweighting Network (ELN) initiiert. Österreich und Schweden sind seit der Gründung starke Partner in diesem Netzwerk öffentlicher Verwaltungen. Im Fokus des ELN steht eine gemeinsame europäische Sichtweise auf den Leichtbau. Seine Aktivitäten bestehen unter anderem in der Entwicklung einer Europäischen Leichtbaustrategie und einer gemeinsamen Forschungsagenda sowie dem Aufbau eines Leichtbau-Hubs in Brüssel.

Die Europäische Vernetzung aller Akteure im Leichtbau unterstützt das ELN mit seinem jährlichen Netzwerktreffen, das dieses Jahr am 8. und 9. Juni in Stockholm ausgerichtet wird. Die neuen Partner aus Belgien, Spanien und Luxemburg werden das ELN zukünftig noch schlagkräftiger machen.

Leichtbauwelt: Was erwarten Sie sich vom 4th Lightweighting Summit am 18. April 2023 auf der Hannover Messe?

Michael Kellner: Der Lightweighting Summit ist das politische Highlight, wenn es um Leichtbau in Deutschland geht. Das Thema des diesjährigen Summits wird „Leichtbau 2.0 in der Circular Economy“ sein. Damit wird ein hochaktuelles Thema aufgegriffen, das große Potenziale sowohl für die Wirtschaft als auch den Klimaschutz bietet. Allerdings ist auch richtig, dass wir insbesondere mit Blick auf die hybriden Materialien zirkuläre Lösungen entschlossen vorantreiben und unsere Hausaufgaben beim Recycling machen müssen. Dazu erhoffe ich mir innovative Ideen, engagierte Köpfe, offene und ehrliche Diskussionen. Es braucht eine starke Allianz, die das Potenzial des Leichtbaus kennt und den entscheidenden Schritt in Richtung Nachhaltigkeit geht.

Bild oben: Parlamentarischer Staatssekretär Michael Kellner (Quelle: Grüne im Bundestag, S. Kaminski)


Autor: Christine Koblmiller

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