Die zwölf Preisträger des ThinKing kommen aus sehr unterschiedlichen Bereichen und zeigen, warum Leichtbau keine Technologie, sondern eine werkstoff-, prozess- und disziplinübergreifende Denkweise ist, die einen positiven Einfluss auf den Schutz unseres Klimas hat. Wer den begehrten Award ThinKing des Jahres 2022 mit nach Hause nehmen konnte, verraten wir im Beitrag.
Zum letzten Mal präsentierten sich mit dem ThinKing zwölf besondere Ideen für den Leichtbau aus Baden-Württemberg. Die Innovationen wurden alljährlich von der Landesagentur LeichtbauBW mit dem ThinKing ausgezeichnet.
„Leichtbau leistet als zukunftsrelevante Querschnitts- und Schlüsseltechnologie einen entscheidenden Beitrag, um einen wirtschaftlich erfolgreichen Klima- und Ressourcenschutz zu schaffen. Der ThinKing Award hat erneut unterstrichen, welch enormes Potenzial Baden-Württemberg auf diesem Gebiet hat. Zwar gibt es auf Grund der Beendigung unseres operativen Geschäfts zum 31.12.2022 leider nicht wie gewohnt eine offizielle Preisverleihung – die Sieger wurden natürlich trotzdem prämiert.“
Dr. Wolfgang Seeliger, Geschäftsführer der Leichtbau BW
Januar 2022: Gesalzenes Upgrade für Aluminiumguss
Am Beispiel eines Druckluft-Schalldämpfers zeigt das Unternehmen Automoteam welches Potential in offenporigem Aluminiumguss steckt. Das Material, das mit Kochsalz als Hilfsmittel hergestellt wird, fordert wegen seiner besonderen Eigenschaftskombination zu neuem Denken in der Produktentwicklung auf. Offenporiger Aluminiumguss ist leicht, thermisch und mechanisch hoch belastbar sowie als Monomaterial hybridisierbar.
Februar 2022: Das Geheimnis der Ziehharmonika für große Sandwichverbundbauteile
Manchmal lebt der Leichtbau nicht nur vom richtigen Werkstoff an der richtigen Stelle, sondern auch von der richtigen Idee im richtigen Moment. Die Erfindung des Unternehmens Gaugler & Lutz vereinfacht das Fertigen großdimensionierter Sandwichverbundbauteile deutlich. Die Ausgleichsstücke aus Kernmaterial mit Ziehharmonikaeffekt wirken wie einzelne Teile eines Bausatzes. Sie beseitzen Federeigenschaften, die Toleranzen ausgleichen und sich dank individueller Oberflächenbearbeitungen an Rundungen konturnah anschmiegen können.
März 2022: Glasfaserverbundkunststoffe – Härten und Trocknen mit Lichtgeschwindigkeit
Glasfaserverbundkunststoffe (GFK) in industriellem Maßstab werden meist thermisch gehärtet. Eine elegantere und schnellere Lösung ist das UV-basierte Konsolidieren von Glasfaserkunststoffen als Inline-Produktionsverfahren. Dank geeigneter Harzformulierungen und der richtigen Strahlungstechnik können Platten, Hülsen oder Profile direkt im Prozess innerhalb weniger Minuten gehärtet und getrocknet werden. Die nachhaltige UV-Härtung des Unternehmens IST Metz kann nicht nur CO2-frei arbeiten, sondern eignet sich dank schneller Durchlaufzeiten insbesondere für die Serienfertigung.
April 2022: Quantensensoren – Den Minis gehört die Zukunft
Bisher sind Quantensensoren – im Einsatz beispielsweise für MRT-Untersuchungen in der Medizintechnik – groß, unhandlich und schwer. Was aber wäre, wenn man diese Sensoren auf die Größe eines Euro-Stücks schrumpfen könnte? Das gelingt am Institut für Intelligente Sensorik und Theoretische Elektrotechnik (IIS) der Universität Stuttgart. Die Forschenden unter Leitung von Prof. Dr. Jens Anders entwickeln mit Hilfe von 3D-gedruckten Strukturen einen um den Faktor 1.000 leichteren und verkleinerten Quantensensor, der sich unter anderem zur weiteren Optimierung von Leichtbaustrukturen in der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung einsetzen lassen wird.
Mai 2022: Präzises Hobelwerkzeug in Extrem-Leichtbauweise
Halb so schwer und um die Hälfte schneller sind die Hobelwerkzeuge für die Holzbearbeitung dank Extrem-Leichtbau. Mit Hilfe von numerischer Simulation bauten die Forschenden an den DITF Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung Denkendorf das Werkzeug von Grund auf neu auf. Die Konstruktion des modularen Baukörperkonzept auf Basis von CFK ist zum Patent angemeldet.
Juni 2022: Was ein getunter Achsschenkel über 3D-Druck und Leichtbau verrät
Der 3D-Druck von Metallen lässt sich sehr gut für Leichtbauteile einsetzen, die hohen mechanischen Belastungen gewachsen sein müssen. Das Potential der additiven Fertigung zeigt sich am Beispiel eines individualisierten Achsschenkels für das Fahrzeugtuning. Durch den Leichtbau konnte das Unternehmen Parare bei verbesserten Belastungskennwerten dank des topologieoptimierten Designs nahezu die Hälfte des Gewichts einsparen.
Juli 2022: Leichte Schrauben mit Köpfchen
80 Prozent Gewichtsersparnis sind viel – relativ gesehen. Auf die einzelne Schraube heruntergebrochen sind es zwar nur ein paar Gramm, doch eine Schraube kommt selten allein. In der Anwendung ergeben sich aus vielen Schrauben viele Vorteile: ein echter Leichtbaueffekt, erleichtertes Recycling, komfortablere Handhabung eine längere Lebensdauer und ein geringerer CO2-Footprint. Die mit Köpfchen erdachten leichten und selbstfurchenden Schrauben aus glasfaserverstärktem Kunststoff kommen aus dem Hause Weippert Kunststofftechnik.
August 2022: Drehsteller im Trend – Mit Leichtbau und wertiger Haptik back to the roots
Auf der Höhe der Zeit, leicht, filigran, kühle Oberfläche – Drehknöpfe aus Metall feiern ein Comeback in unterschiedlichen Branchen. Der additiv gefertigten Drehsteller von MIMplus Technologies spart beim Material kräftig und vermittelt trotzdem in der Anwendung ein Gefühl von hoher Wertigkeit. Geometrie, Größe und Werkstoff für den Drehknopf können variabel an seinen Einsatz angepasst werden.
September 2022: Vom Flachdach zum Kraftwerk mit „leichten Solar-Sonnenblumen“
Bisher ungenutzte Flachdachflächen könnten zukünftig in erheblichem Maß zur Energieerzeugung beitragen. Dafür sorgt das besonders leichte und hoch effiziente TAO Sun-Tracker-System. Es handelt sich dabei um ein leichtes, nachgeführtes Solarmodul, das sich auf den brachliegenden Flachdächern installieren lässt und pro Quadratmeter bis zu 400 Watt liefern kann. Der umfassende Leichtbau dieser zukunftsweisende Produktidee von TAO Trans Atmospheric Operations reicht vom bionischen Ansatz über die Konstruktion bis hin zu den eingesetzten Materialien.
Oktober 2022: Digitalisiertes Schwarmwissen für die Additive Fertigung
Wo einer allein nicht genug bewegen kann, ist Gemeinschaft gefragt. Dem Trend zur digitalen Plattformökonomie folgt auch „AddiMap“ – ein Marktplatz für die Additive Fertigung. Gehandelt wird mit Daten: validierten Ausgangswerkstoffen, Prozessparametern und resultierenden Werkstoffdaten von und für alle Marktteilnehmenden in der additiven Fertigung. Gemeinsam Daten erheben, das Schwarmwissen teilen und so leichte Produkte schneller und kostengünstiger auf den Markt bringen – diese Idee hatte das Unternehmen Rosswag. Die Plattform wurde zur Formnext 2022 vorgestellt.
November 2022: Kühlende Bäume an den Fassaden verbessern urbanes Klima
Ein Leichtbau-Award für Fassadenbegrünung? Das wäre dann doch zu einfach. Der GraviPlant von Visioverdis 2.0 – ein Pflanztopf mit Köpfchen – hebt die Fassadenbegrünung auf die nächsten Ebene. Das ist wörtlich zu nehmen, denn er ermöglicht das Bepflanzen der Fassade mit kleinen Bäumen eine Ebene über der gängigen Fassadenbegrünung. Verschiedene Leichtbauideen halten das Gewicht des Baumtopfes selbst niedrig. Zudem führt die Idee des gärtnerisch automatisierten, horizontalen Baumbewuchses an Fassaden zu vielschichtigem Systemleichtbau im urbanen Raum, kühlt und schützt die Gebäude und verbessert das Klima in der Stadt.
Dezember 2022: Batterie-Zellhalter mit 60 Prozent weniger Gewicht
Leichtbau nicht bauteil- oder materialspezifisch, sondern funktionsorientiert und komponentenübergreifend zu denken, ist eine Herausforderung für viele KonstrukteurInnen. Wie positiv sich systemischer Leichtbau auf Gewicht, Kosten, CO2-Footprint und Ressourceneffizienz auswirkt, zeigt das Unternehmen Dipl.-Ingenieure Rainer & Oliver PULS gemeinsam mit dem IPEK – Institut für Produktentwicklung am Karlsruher Institut für Technologie KIT und dem Institut für Kunststofftechnik (IKT) der Universität Stuttgart am Beispiel eines Zellhalters für Batteriemodule. Dieser verlor dank leichtbaufokussiertem Multi-Material-Design rund 60 Prozent seines ursprünglichen Gewichts.
Eine Jury wählte die Preisträger für den ThinKing des Jahres 2022
Eine Fachjury hat für den Award alle Beiträge aus 2022 noch einmal unter die Lupe genommen und die besten Leichtbauinnovationen ermittelt. Die Bewertungen wurden von
- Dr. Wolfgang Rimkus, Technologiezentrum Leichtbau Hochschule Aalen,
- Dipl.-Ing. (FH) Christine Koblmiller, Chefredakteurin Leichtbauwelt,
- Prof. Johann Tomforde, Geschäftsführender Gesellschafter TEAMOBILITY und
- Dipl.-Ing. Markus Kaden, Geschäftsführung msquare
vergeben.
Platz drei ging an Automoteam, das mit einem Druckluft-Schalldämpfer gezeigt hat, welches Potenzial im offenporigen Aluminiumguss steckt. Da die Bauteile bereits aus rezyklierten Material – Sekundäraluminium – hergestellt sind, ist am Lebensende des Bauteils eine Rückführung in den Recyclingkreislauf leicht möglich. Außerdem verursacht offenporiger Aluminiumguss dank der Herstellung aus Sekundärrohstoffen und unter Einsatz von Energie aus klimaneutralen Quellen kaum CO2-Emissionen.
Platz zwei wurde gleich doppelt vergeben: Zum einen an Visioverdis 2.0. Der GraviPlant – Nicht nur verschiedene Leichtbauideen halten das Gewicht des Baumtopfes selbst niedrig. Vielmehr führt die Idee des gärtnerisch automatisierten, horizontalen Baumbewuchses an Fassaden zu vielschichtigem Systemleichtbau im urbanen Raum. Urbane Fassadenbegrünung erhöht die Lebensdauer der Gebäude, speichert CO2, produziert Sauerstoff und die Energiekosten für die Gebäudeklimatisierung lassen sich halbieren. Darüber hinaus unterstützt Wärmedämmung und Schallschutz durch Begrünung ressourcenschonendes Bauen.
Der zweite zweite Platz ging an die Universität Stuttgart für ihren Quantensensor im Miniaturformat. Die Forschenden unter Leitung von Prof. Dr. Jens Anders entwickelten mit Hilfe von 3D-gedruckten Strukturen einen um den Faktor 1.000 leichteren und verkleinerten Quantensensor, der sich unter anderem zur weiteren Optimierung von Leichtbaustrukturen in der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung einsetzen lassen wird. Inklusive Material kostet ein leichter Quantensensor nur wenige Euro und lässt sich durchschnittlich innerhalb von einer halben Stunde herstellen.
Der ThinKing Award des Jahres 2022 ging an das Unternehmen Dipl.-Ingenieure Rainer & Oliver PULS gemeinsam mit dem IPEK – Institut für Produktentwicklung am Karlsruher Institut für Technologie KIT und dem Institut für Kunststofftechnik (IKT) der Universität Stuttgart für einen leichten Batterie-Zellhalter. Die tragende Struktur des Batterie-Zellhalters besteht aus Kühlkanälen sowie dünnen Aluminium-Streben zum Fixieren der Batteriezellen. Im Vergleich zum ursprüngliche Zellhalter aus einem Aluminiumblock, der einige Kilogramm auf die Waage bringt, spart das neuentwickelte Multi-Material-Design nicht nur Masse ein, sondern lässt sich gleichzeitig einfacher, schneller – und damit kostengünstiger – montieren, demontieren und reparieren. Es entsteht weniger Produktionsabfall und die verwendeten Materialien sind weitgehend recyclingfähig.
Bild oben: Die Trophäen für die ThinKing-Jahresbesten 2021 (Quelle: LeichtbauBW)
Autor: Christine Koblmiller, Redakteurin, Gründerin, Fachjournalistin aus Leidenschaft, überzeugter Leichtbau-Fan.
Mit dem Metamagazin Leichtbauwelt.de habe ich 2018 den Schritt in die Selbständigkeit gewagt und mit Leichtbauwelt ein neues Medienformat im B2B-Umfeld geschaffen. Seit etwa 25 Jahren bin ich Redakteurin für technische B2B-Fachzeitschriften. Für verschiedene führende Fachmagazine habe ich als eBusiness-Projektmanager Industrie schon 2001 crossmediale Angebote eingeführt, denn die Digitalisierung aller Lebensbereiche hat Einfluss auf unser Informationsverhalten. Deshalb bin ich mir sicher, dass sich die Medienbranche wandeln muss. Mehr über mich finden Sie unter Conkomm, auf Xing oder LinkedIn.
„Leichtbau fasziniert und begeistert Techniker. Er ist für die Herausforderungen der Zukunft unabdingbar. Deshalb bin ich sicher, dass der Markt für Leichtbauwelt.de reif ist.“
Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.