Wir alle kennen es: Messebesuche sind stets vollgepackt mit Terminen und Gesprächen, die vorab vereinbart werden. Die Reisezeit muss effektiv genutzt werden, schon alleine aus Kostengründen. Und die Unternehmen sind bestrebt, möglichst viele Besucher an den eigenen Stand zu locken. Doch für Fachbesucher lohnt es sich dennoch durchaus, auch das Unerwartete zu suchen, sich einen Überblick zu verschaffen, an Diskussionen teilzunehmen und sich einfach treiben und inspirieren zu lassen.
Paris wird durch die JEC World, eine der größten Fachmessen für Faserverbundwerkstoffe, vom 25. bis 27. April zum Anlaufpunkt für Leichtbau- und Composites-Fans werden. Auf die Fachbesucher wartet ein umfangreiches Kongress- und Eventprogramm, verschiedenen Themenpavillons und viele Aussteller.
Als Vorschläge für „zielgerichtetes Nichtstun“ haben wir für Sie ein paar attraktive und aktuelle Themen abseits des „Mainstream“ Rohstoffe, Halbzeuge und Produktionsverfahren herausgepickt.
Bild oben: 20 Finalisten stellen sich beim Start-up Booster der JEC einer fachkompetenten Jury. (Quelle: JEC Group)
Tipp Nr. 1: Fokus auf naturfaserverstärkte Kunststoffe
Auch wenn der Leichtbau schon häufig CO2-Emissionen über den gesamten Lebenszyklus einspart, so könnte der Einsatz naturfaserverstärkter Kunststoffe diesen Effekt noch deutlich verstärken. Es lohnt sich daher in Anbetracht der Anforderungen aus dem Green Deal und den stetig steigenden Kosten für CO2-Emissionen ein wenig Zeit auf das Potential der naturfaserverstärkten Kunststoffe zu verwenden. Dafür bieten sich folgende Vorträge im Rahmenprogramm an:
Wann | Thema | Referent | Wo |
Dienstag 25.04. 12 Uhr / 60 min |
Podiumsdiskussion: Green is the New Black: Natural Fibers & Bio-Based Polymers for Bio-compositeNaturfasern und biobasierte Polymere bringen einige Herausforderungen mit sich, wie beispielsweise eine höhere Wasseraufnahme und andere thermische Eigenschaften. Um Materialien mit vergleichbaren Eigenschaften wie herkömmliche Verbundwerkstoffe herzustellen, müssen diese Herausforderungen gelöst werden. Die Podiumsdiskussion wird sich auf „grüne“ Verbundwerkstoffe sowie auf Technologien/Materialien mit negativen Emissionen konzentrieren. |
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Agora 5 |
Dienstag 25.04. 16 Uhr / 25 min |
Flax and Hemp Fibre Composites, The Biobased Solutions for the Industry
Als erneuerbare europäische Ressourcen sind Flachs- und Hanffasern ein großer Gewinn für die Bioökonomie. Die Kombination ihrer außergewöhnlichen mechanischen und ökologischen Eigenschaften fördert die nachhaltige Innovation. Es wird gezeigt, wie Flachs- und Hanffasern und ihre Verbundwerkstofflösungen die Erwartungen der Hersteller in Bezug auf die Leistung erfüllen und die Anforderungen der Industrie und der Endverbraucher an eine nachhaltige Entwicklung vorwegnehmen. |
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Agora 5 |
Mittwoch 26.04. 9:30 Uhr / 25 min |
Roland Jourdain’s success in the Route du Rhum on the We Explore Flax Fiber Composite Boat
Roland Jourdain erzählt die Geschichte der We Explore bis zu ihrer erfolgreichen Teilnahme an der Route du Rhum. Er wird zeigen, dass Öko-Design, insbesondere die Integration von Flachsfasern in die Konstruktion des Bootes, technisch machbar ist und keine Kompromisse bei der Leistung erfordert. |
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Agora 5
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Tipp Nr. 2: Fokus auf Leichtbau
Leichtbau ist kein Hype, kein Trend, sondern ein Denkansatz, der uns nachhaltiges Wirtschaften auf dem bisher gewohnten industriellen Niveau überhaupt erst ermöglichen wird. Persönlich glaube ich sogar, dass es ohne Leichtbau für die Menschen keine industrielle und technologische Zukunft geben wird. Denn Leichtbau heißt nicht nur Materialsubstitution durch leichtere Werkstoffe, sondern beinhaltet ein komplett anderes Mindset – beginnend bei der Produktentwicklung bis hin zum Lebenszyklusende. Wer hier tiefer eintauchen möchte und auch nach Fördermöglichkeiten oder Marktpotential für seine Leichtbau-Ideen sucht, den könnte bei folgenden Vorträgen und dem anschließenden Netzwerken fündig werden.
Wann | Thema | Referent | Wo |
Dienstag 25.04. 10 Uhr / 85 min |
Podiumsdiskussion: The Lightweighted Future: Aero-Mobility in South Korea.Im Mittelpunkt steht die Bedeutung von Leichtbaumaterialien in der Luftfahrt- und Mobilitätsindustrie und wie sie zur ökologischen Nachhaltigkeit beitragen können. Unter der Schirmherrschaft von KCarbon werden erfolgreiche Beispiele von Leichtbauanwendungen aus CFK in Südkorea vorgestellt sowie Einblicke von Branchenexperten und renommierten Referenten gegeben. Die Teilnehmer haben die Möglichkeit, sich über die neuesten Entwicklungen in diesen Branchen zu informieren, sich mit Fachleuten zu vernetzen und Ideen für eine nachhaltigere Zukunft auszutauschen.Die Korea Carbon Industry Promotion Agency (KCarbon) ist eine dem Ministerium für Handel, Industrie und Energie der Republik Korea unterstellte Regierungsbehörde, die seit ihrer Gründung im März 2021 das Ziel verfolgt, die Kohlenstoffindustrie (Verbundwerkstoffe) zu fördern. |
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Agora 5 |
Mittwoch 26.04. 17:30 Uhr / 15 min |
Initiative Lightweight Technology and the European Dimension |
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Agora 5 |
Donnerstag 27.04. 9:30 Uhr / 25 min |
Advanced Lightweight Materials – A European Commission Perspective
Der Leichtbau ist eine technische Herausforderung für viele Anwendungen. Die Vorteile sind umfassend dokumentiert. Die Europäische Kommission hat die Forschung und Entwicklung im Bereich fortschrittlicher Werkstoffe für den Leichtbau über ihre Rahmenprogramme mindestens in den letzten 20 Jahren konsequent unterstützt. In jüngster Zeit hat die E-Mobilitätdas Interesse und die Nachfrage nach Leichtbaulösungen erhöht, was wiederum die Entwicklung neuer Materialien erfordert. Die umfassendere Politik zur Reduzierung von CO2-Emissionen, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit erfordert nun zusätzlich das Verbessern der Recyclingfähigkeit auch für Leichtbauwerkstoffe. Es wird ein Überblick über den Stand der Technik, die künftigen Herausforderungen und die Fördermöglichkeiten der Europäischen Kommission gegeben. |
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Agora 5
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Donnerstag 27.04. 10:00 Uhr / 55 min |
Podiumsdiskussion: Lightweight Made in Europe: Challenges and OpportunitiesDie Dekarbonisierung strategischer Industrien ist Priorität des europäischen Green Deals. Der Leichtbau ist dafür eine Schlüsseltechnologie. Er ermöglicht es, Komponenten herzustellen, die weniger energieintensiv sind und zu geringeren CO2-Emissionen führen. Leichtbautechnologien können auch die Ressourceneffizienz verbessern und den Unternehmen dabei helfen, die Kreislaufwirtschaft zu fördern.Doch wie kann die europäische Leichtbautechnologie auf globaler Ebene wettbewerbsfähig bleiben? Nehmen Sie an unserem Podiumsforum teil, bei dem das wirtschaftliche und nachhaltige Potenzial von Leichtbautechnologien aus Europa diskutiert wird. |
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Agora 5
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Tipp Nr. 3: Immer einen Leichtbau-Blick wert: die Start-ups
Kategorie Produkte und Werkstoffe
Agrona: Das Unternehmen stellt die umweltfreundliche Holzplatten aus Agrarabfällen und biobasierten Harzen her. Mit jeder Tonne hergestellter Platten werden fünfhundert Kubikmeter CO2-Emissionen vermieden. Agrona beabsichtigt, seine Aktivitäten in den nächsten 2 Jahren auf Europa auszuweiten.
Algreen: Polyurethanschaum, -klebstoffe und -beschichtungen werden häufig in der Automobil-, Kosmetik-, Verpackungs- und Modeindustrie verwendet. Das Start-up hat vollständig biobasierte und biologisch abbaubar Polyurethane entwickelt, die erdölbasierte Polyurethane ersetzen können. Der weltweite Polyurethanmarkt wird 29,2 Millionen Tonnen betragen (2029). Durch den Ersatz von 1 Prozent des erdölbasierten Polyurethans vermeidet Algreen jährlich 88 Mio t CO2eq.
Cobratex: Das Unternehmen stellt Bambusverstärkungen her und nutzt dabei eine patentierte Technologie zur Gewinnung von Bambusfasern, die dann zu einem einzigartigen Endlosband aus unidirektionalen Fasern zusammengeschweißt werden. Dieses Band unterscheidet sich stark von den üblichen Rovings. Es ist selbst ein Verbundwerkstoff, da es aus Faserbündeln und geschlossenen wabenartigen Strukturen besteht und eine nachhaltige Alternative mit vielen technischen Vorteilen darstellt.
Grafren: Das Unternehmen stellt mit einer patentrechtlich geschützten Technologie Graphen-Materialien her, mit denen sich Substrate auf Faserbasis beschichten lassen. Die Beschichtung ist extrem gleichmäßig, dünn und leicht. Da Graphen elektrisch und thermisch leitfähig sowie feuerfest und mechanisch widerstandsfähig ist, verleiht das Beschichten der Fasern mit nur 4 bis 5 Gramm Graphen pro Quadratmeter den Verbundwerkstoffen neue Eigenschaften.
INCA Renewable Technologies: Inca entwickelt und produziert leistungsstarke, wettbewerbsfähige und nachhaltige Verbundwerkstoffe als Ersatz für Kunststoffe auf Erdölbasis, Regenwaldsperrholz und Balsaholz. Das Team leistete Pionierarbeit bei der Verwendung von Naturfasern in der Automobilindustrie und hat nun die nächste Generation von patentierten Prepregs für Toyota entwickelt. Basierend auf Fasern aus Industriehanf, der in der kanadischen Prärie zur Gewinnung von Proteinen angebaut wird, veredelt das Unternehmen die Verbundwerstofflösungen auf Automobilstandards.
Mushroommaterial: Das Start-up hat eine auf Pilzen basierende Alternative zu Polystyrol (Styropor) entwickelt, indem landwirtschaftliche Abfälle mit der Wurzelstruktur von Pilzen, besser bekannt als „Myzel“, kombiniert werden. Der so gewonnene Werkstoff ist leicht, nachhaltig und zu 100 % biologisch abbaubar.
Kategorie Prozesse und Verfahren
Addyx: Addyx revolutioniert das Design und die Herstellung von komplex geformten, hohlen Hochleistungsverbundwerkstoffen. Ein patentierter wasserlöslicher und aufblasbarer Dorn aus einem speziellen Material ermöglicht zusammen mit der Carbon-Exoskelett-Technologie eine verbesserte Designfreiheit, geringere Herstellungskosten sowie leichtere und stärkere Verbundwerkstoffkomponenten.
Catack-H: CFRTP-Recycling durch ein umweltfreundliches und nachhaltiges Solvolyse-Verfahren.
Composite Recycling (Schweiz): Composite Recycling hat ein energieeffizientes und nachhaltiges Verfahren entwickelt, um das Harz von den Fasern zu trennen. In Zusammenarbeit mit der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne hat das Team eine Nachbehandlung entwickelt, um die Fasern zu reinigen und sie in neuen Verbundwerkstoffen wiederzuverwenden und so den Kreislauf zu schließen.
Lineat Composites: Das Start-up-setzt eine patentierte Aligned Formable Fibre Technology (AFFTTM) ein, um Kohlenstofffaser-Verbundwerkstoffe herzustellen. Das Verfahren wandelt minderwertige geschnittene Fasern in ein neues, hochgradig ausgerichtetes Fasermaterial um, so dass es mit der Leistung von Endlosfasern konkurrieren kann. Damit wird der Kreislauf für die technische Wiederverwendung von Kohlenstofffasern geschlossen.
Microwave Solutions: Selektive Depolymerisation der Matrix in wertvolle Monomere, Oligomere und Kohlenwasserstoffprodukte; Rückgewinnung von hochwertigen Glasfasern, Kohlenstofffasern und Füllstoffen und Umwandlung von Kohlenstoff in Nanomaterialien.
Nova Carbon: Das Unternehmen hat eine Reihe von Hochleistungs-Halbzeugen aus Kohlenstofffaserabfällen entwickelt. Der Ansatz basiert auf Long Fiber Realignment, einer von der Universität Bordeaux patentierten Technologie, die die hohe Leistungsfähigkeit von Kohlenstofffasern bewahrt.
Plyable: Das Unternehmen nutzt KI und maschinelles Lernen für eine proprietäre Softwareplattform, die Konstruktion und Herstellung von Werkzeugen zur Composites-Verarbeitung automatisiert. Dazu werden die CAD-Daten der Komponenten in Plyable abgelegt und das Portal berechnet automatisch einen Werkzeugentwurf, die Kosten für die Herstellung aus unterschiedlichen Materialien und das Werkzeug kann außerdem bestellt, im Auftrag hergestellt und geliefert werden.
Synthesites: Hier geht es um das Automatisieren des Aushärtungsprozesses von Verbundwerkstoffen, um bis zu 100% zusätzliche Aushärtungszeit zu sparen. Dazu hat das Unternehmen die Online Resin State Software entwickelt, die die Glasübergangstemperatur eines Duroplasts während der Aushärtung sofort und genau anzeigt. Das Start-up arbeitet nun mit den führenden OEMs in der Luft- und Raumfahrt und der Windenergie zusammen, um diese Technologie in der Serienproduktion einzusetzen.
Thermolysis: Recycelte Kohlenstofffasern von Thermolysis sind umweltverträgich und haben eine hohe Festigkeit, so das Unternehmen. Das Material wird aus recycelten Kohlenstofffasern hergestellt. Darüber hinaus verfügt es über eine bemerkenswerte Festigkeit und Haltbarkeit.
Und nun wünsche ich Ihnen erfolgreiche und inspirierende Tage in Paris. Lassen Sie sich Zeit und profitieren sie von unerwarteten Begegnungen mit Mensch und Technologie.
Autor: Christine Koblmiller, Redakteurin, Gründerin, Fachjournalistin aus Leidenschaft und überzeugter Leichtbau-Fan.
Mit dem Metamagazin Leichtbauwelt.de habe ich 2018 ein neues Medienformat im B2B-Umfeld geschaffen. Leichtbauwelt ist Inspiration für Ihren Fortschritt und Wissen, wie’s leicht wird. Leichtbauwelt verlinkt, vernetzt und ordnet ein, verlagsunabhängig und transparent. Partei ergreife ich nur für den Leichtbau, von dessen Nutzen ich überzeugt bin.
Seit etwa 25 Jahren bin ich Redakteurin für technische B2B-Fachzeitschriften. Für verschiedene führende Fachmagazine habe ich als eBusiness-Projektmanager Industrie schon 2001 crossmediale Angebote eingeführt, denn die Digitalisierung aller Lebensbereiche hat Einfluss auf unser Informationsverhalten. Deshalb bin ich mir sicher, dass sich die Medienbranche wandeln muss. Mehr über mich finden Sie unter Conkomm, auf Xing oder LinkedIn.
„Leichtbau fasziniert und begeistert Techniker. Die Entwicklung von Leichtbauwelt zeigt, dass der Markt ein solches Angebot braucht.“
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