Orientierung ist gefragt: Der Leichtbau wird unsere Denkweise über Produkte ebenso revolutionieren, wie Einstein die Physik. (Quelle: Pixabay)

Über 1.000 Forschungsvorhaben listet der Förderkatalog des Bundes. 22 % aller kleinen und mittleren Unternehmen nutzen schon heute Leichtbaumaterialien.

Es scheint, als sei der Leichtbau angekommen. Bei den Unternehmen, die im Leichtbau ein Instrument zu mehr Wettbewerbsfähigkeit sehen. Bei den Klimaschützern, für die der Leichtbau eine Möglichkeit zum Reduzieren der CO2-Emissionen ist. Bei den Umweltschützern, für die Leichtbau eine Perspektive für den sparsamen Umgang mit  Ressourcen darstellt.

„Leichtbau vereinigt auf idealtypische Weise drei Dimensionen der Nachhaltigkeit, da hier ökonomische, ökologische und soziokulturelle Anforderungen in Einklang gebracht werden: Eine moderne, digitale Produktentwicklung und Produktion mit geringeren Kosten geht Hand in Hand mit dem verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen, Energie und Klima und nicht zuletzt einer hohen Funktionalität.“
– Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi)

Aber der Leichtbau ist kein Allheilmittel für mehr Nachhaltigkeit. Auf dem Leichtbaugipfel im März brachte es einer der Referenten auf den Punkt.

„Leichtbau hat kein Marketingproblem – Leichtbau muss sich neu orientieren.“
– Dr. Markus Weber, CFO bei Thyssenkrupp

Meiner Ansicht nach hat Herr Dr. Weber nur teilweise Recht. Ein Marketingproblem hat der Leichtbau sicher keines. Dazu impliziert Leichtbau zu viele hochemotional besetzte Felder wie Ressourceneffizienz, E-Mobilität und Nachhaltigkeit.

Aber nicht der Leichtbau muss sich neu orientieren, sondern umgekehrt wird ein Schuh daraus: Leichtbau wird uns dazu zwingen, uns neu zu orientieren, Produkte neu zu denken.

Was bedeutet Leichtbau?

„Leichtbau ist die geschickte Kombination von Werkstoffen und Strukturen mit dem Ziel, durch maximale Gewichtseinsparung Energie und Rohstoffverbrauch zu minimieren.“
– Christine Koblmiller in „Werkstoffklasse für die Zukunft“,Plastverbarbeiter, 2012

Das klingt recht einfach. Die Komplexität des modernen Leichtbaus wird sichtbar, wenn man sich die Aussage im Detail anschaut. Leichtbautechnologie ist wesentlich mehr als  Materialsubstitution mit dem Ziel, das Gewicht zu reduzieren.

Produkte neu Denken heißt zum Beispiel sich Kugeln nicht mehr massiv vorzustellen, sondern als eine kugelige Annäherung durch das Kombinieren von Ringen. Die Hohlräume sorgen für Leichtigkeit. (Quelle: Pixabay)

Im „geschickten Kombinieren“ von Werkstoffen verbergen sich der Multimaterial-Leichtbau – auch hybrider Leichtbau genannt – sowie die Funktionsintegration. Die Strukturen eines Bauteils zu optimieren, um Gewicht einzusparen, kann auch bedeuten, dessen Aussehen komplett zu modifizieren. So entstehen weiche, bionische Strukturen. Funktionen, die  die Anforderungen übersteigen, können weggelassen werden. Bekannte Produkte verändern sich in Form und Funktion.

Was sind hybrider Leichtbau, Strukturleichtbau und Systemleichtbau?

Heute kombiniert die Leichtbauweise leichte Materialien (werkstofflicher Leichtbau) mit angepassten Strukturen (konstruktiver Leichtbau oder Strukturleichtbau). Diese werden durch eine lastgerechte Konstruktion in ihrer Topologie optimiert.

Um solchen komplexen Anforderungen gerecht zu werden, kombiniert man mehrere Werkstoffe. So kann jeder Werkstoff seine Stärken ausspielen (Multimaterial-Leichtbau, auch hybrider Leichtbau genannt).

Wenn das Gewicht eines Bauteils oder des ganzen Produkts von Anfang an reduziert werden soll, geht es um mehr als Material und Struktur. Im Systemleichtbau wird ein System ganzheitlich betrachtet, Funktionen werden auf den Prüfstand gestellt, mehrere Funktionen in ein Bauteil zusammengefasst (Funktionsintegration).


⇒ Leichtbau heißt, das richtige Material in der minimal möglichen Menge an der richtigen Stelle einzusetzen sowie Funktionen und Werkstoffe zu hinterfragen und neu zu denken.


Leichtbau verändert Produkte und Wertschöpfungsketten

Insbesondere letzteres fordert eine ganz neue Denkweise – vor allem in der Produktentwicklung. Im Leichtbau tätige Ingenieure benötigen ein breitgefächertes Wissen in den Bereichen Simulation, Werkstoff und Konstruktion – oder das Team muss entsprechend aufgestellt sein.

Doch nicht nur in der Entwicklung werden wir vor ganz neue Herausforderungen gestellt. Durch sehr viele Abhängigkeiten im Entwicklungsprozess entstehen unzählige iterative Prozessschleifen. Entwicklung und Produktion rücken näher aneinander. Und daher wird sich die gesamte Wertschöpfungskette ändern. Wir stehen hier nicht vor marginalen Anpassungen, sondern vor umwälzenden, die Produktionslandschaft verändernden Herausforderungen.

Denn selbst bei der Produktion der Leichtbauteile muss häufig „um die Ecke“ gedacht werden. Die übliche Vorgehensweise „Rohstoff in die Maschine ergibt Produkt“ ist nicht der Königsweg, um leichtgewichtige Produkte herzustellen.

Leichtbau heißt, nicht nur Produkte sondern auch Produktionsprozesse neu zu denken.

Die Revolution beginnt nicht erst in der Produktionshalle. Weit gefehlt – sie muss bereits in den Hochschulen und Universitäten ansetzen. Die Fachkräfte von morgen müssen ein neues Denken lernen und Sicherheitsauslegungen überdenken.

Design, Simulation und Produktion gehen neue Wege, um Produkte leichter zu machen. Und daran anschließend heißt es. die Prozesskette zu hinterfragen, Wertschöpfungsketten neu zu organisieren und zu strukturieren.

Wozu Leichtbau ?

Und warum dieser ganze Aufwand? Weil wir unser Leben lieben. Und unsere Erde. Weil wir für unsere Kinder eine Zukunft auf der Erde ermöglichen wollen. Das große, emotionale und verantwortungsschwere Thema Nachhaltigkeit.

Energieeffizienz

Wir leben in einer Welt, in der sich die Dinge bewegen (müssen). Und immer dann, wenn Massen bewegt werden müssen – Auto, Wohnwagen, Fahrrad, Motorrad, Kinderwagen, Roboterarme, Flugzeuge, Schiffe, Nutzfahrzeuge, Maschinen – benötigen wir dazu Energie.

Wer jemals mit dem Rad einen Berg bestiegen hat, weiß um die Bedeutung des Gewichts beim Bewegen der Masse. (Quelle: Pixabay)

Im einfachsten Fall ist die Energie unsere Muskelkraft. Dann haben wir ein ganz eigenes Interesse daran, dass die Dinge leicht sind…

In der Regel aber verwenden wir zum Bewegen von Massen Energie in Form von Wärme (thermische Energie) oder Strom (elektrische Energie). Die Erzeugung beider Energieformen ist mit CO2-Emissionen verbunden. Je weniger Energie wir also benötigen um etwas von A nach B zu bewegen, desto weniger CO2 wird dafür an die Umwelt abgegeben (Carbon-Footprint).

Materialeffizienz

Wir wissen, dass alle Materialien auf unserer Erde nur endlich vorhanden sind. Nachhaltigkeit und bedeutet daher, verantwortungsvoll mit den uns gegebenen Ressourcen umzugehen. Der sparsame Verbrauch von Ressourcen ist Pflicht.

Gestalten wir zum Beispiel im Bauwesen Dinge leichter, bedeutet das, dass Tragwerkskonstruktionen mit weniger Material auskommen.

Materialeffizienz heißt auch, Kosten zu sparen. Etwa 44 Prozent der Kosten eines Produktes stecken im Material. Ein wichtiges Argument für viele Unternehmen, sich mit dem Thema Leichtbau zu beschäftigen. Um im Wettbewerb zu bestehen, ist Kosteneffizienz ein wichtiger Baustein.

Leichtbau als Wirtschaftsfaktor

Leichtbau ist ein Querschnittsthema und als solches eine Schlüsseltechnologie. Leichtbau betrifft nahezu alle Branchen: Automotive, Schienenfahrzeuge, Luftfahrt, Sport und Freizeit, Nutzfahrzeuge, Freizeitmobile, Maschinenbau und Robotik, Bauwesen und Architektur, Elektronik und Telekommunikation, Möbel und Haushalt.

Der  Leichtbau wird Entwicklungen bei Design und Werkstoff sowie Produktion und den notwendigen Prozesse und Maschinen vorantreiben. Trends der modernen industriellen Fertigung wie die Digitalisierung und die Additive Fertigung sind für den Leichtbau unerlässlich und weitere Puzzleteile des industriellen Wandels.

Zeugnis vielfältiger Tätigkeit in Forschung und Entwicklung geben unzählige Cluster, Forschungsprojekte und Verbände. Nahezu wöchentlich finden Seminare oder Veranstaltungen zum Thema Leichtbau statt, die den Wissenstransfer befeuern.

Im Leichtbau stecken dank neuer Technologien und Wege zur Herstellung der Produkte zehntausende neuer Arbeitsplätze und Leichtbau hat ein ökonomisches Potenzial mit einem Marktvolumen in dreistelliger Milliardenhöhe. (Quelle: Leichtbau BW).

Herausforderungen Großserie und Recycling

Damit Leichtbauprodukte auch von den Kunden angenommen werden – und darum geht es letztendlich – müssen die Teile zu akzeptablen Preisen produziert werden können. Und der Verbraucher sollte die Gewissheit haben, dass sein konsumiertes Produkt problemlos recycelt werden kann.

Viele Leichtbauteile sind in geringen Stückzahlen qualitativ hochwertig und zuverlässig zu produzieren. Doch die Verfahren sind häufig nicht tauglich für die Großserienfertigung. Das ist und bleibt wohl auch noch die nächsten Jahre vor allem für die Branchen eine Herausforderung, in denen es um hohe Stückzahlen geht. Gefragt ist hier das Know-how der Maschinen- und Anlagenbauer, die in interdisziplinären Teams neue Prozesse, die Maschinen und notwendige Automatisierung entwickeln müssen, um die Produktionskosten zu senken.

Immer stärker rückt auch das Thema Recycling in den Fokus. Was für Metalle im Leichtbau noch eher einfach erscheint, ist für Composites, faserverstärkte Kunststoffe wie CFK und Hochleistungsthermoplaste durchaus eine Herausforderung. Diese wird auch dann nicht kleiner, wenn der Trend zum hybriden Leichtbau sich fortsetzt, wovon Analysten ausgehen. Denn Nachhaltigkeit ist heute schon fast eine Voraussetzung für die Marktakzeptanz.

Zukunft Leichtbau

Leichtbau ist mehr als eine Technologie. Der Leichtbau wird uns helfen, unsere Zukunft auf der Erde zu sichern. Durch sparsamen Umgang mit unseren Ressourcen, mit Rohstoffen und unserem Klima.

Das funktioniert jedoch nur dann, wenn wir bei der Entwicklung von Bauteilen und Produkten nicht nur das Gewicht optimieren, sondern Produkt und verwendete Werkstoffe in jeder Hinsicht neu denken – und das von der Herstellung der Rohstoffe, von der wirklich notwendigen Funktionalität bis hin zum Ende des Lebenszyklus eines Produktes. Bis hin zur (Wieder)verwertung – Stichwort cradle-to-cradle.

Der Leichtbau wird Produkte und die Wertschöpfungskette verändern. Er wird uns dazu zwingen, uns neu zu orientieren.


Weiterführende Infos:


Dipl.-Ing. (FH) Christine Koblmiller

Autor: Christine Koblmiller, Redakteurin, Gründerin, Fachjournalistin aus Leidenschaft

Mit dem Metamagazin Leichtbauwelt.de hat sie 2018 den Schritt in die Selbständigkeit gewagt und mit Leichtbauwelt ein neues Medienformat geschaffen, das sie zum Erfolg führen wird.
Christine Koblmiller ist seit 1995 Redakteurin für technische B2B-Fachzeitschriften (Chemie Technik, Plastverarbeiter, neue verpackung). Für diese Fachmagazine des Hüthig-Verlages sowie Objekte des Verlags moderne industrie hat sie als eBusiness-Projektmanager den Online-Bereich maßgeblich mitgestaltet und schon im Jahr 2001 crossmediale Angebote eingeführt. Mehr über Christine Koblmiller unter Conkomm, auf Xing oder LinkedIn.

„Leichtbau fasziniert und begeistert Techniker. Ich bin überzeugt davon, dass der Markt für ein Angebot wie Leichtbauwelt.de reif ist.“

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