Ein altes Material wird für den Leichtbau derzeit neu entdeckt: Einheimische Flachsfasern kennen wir seit Jahrtausenden in Kleidungsstücken, Säcken oder robusten Schiffstauen. Kombiniert mit einem speziellen Bioharz entsteht aus den Fasern dieser regionalen Kulturpflanze ein leichter und hochstabiler Werkstoff, der in seinen Eigenschaften etwa mit Aluminium oder Stahl vergleichbar ist.
Im EU-Projekt „Smart Circular Bridge“ wurde eine erste Brücke aus flachsbasiertem Bioverbundwerkstoff gerade gebaut, zwei weitere sollen folgen. Die erste „Smart Circular Bridge“ hat eine Spannweite von 15 Metern und wurde von einem interdisziplinären Konsortium aus 15 Partnern unter Führung der Technischen Universität Eindhoven realisiert. Das Projektteam besteht aus fünf Universitäten, sieben innovativen Unternehmen und drei Städten.
Die erste Brücke wurde jetzt auf der internationalen Gartenbauausstellung Floriade in Almere (Niederlande) errichtet und im April eingeweiht. Zwei weitere „Smart Circular Bridges“ für Fußgänger und Radfahrer werden in Ulm (Deutschland) und Bergen op Zoom (Niederlande) in diesem und im nächsten Jahr gebaut.
„Das gesamte Projekt gibt einen wichtigen Impuls, wie alternative, auf Biomasse basierende und jährlich erneuerbare Ressourcen in der Bauindustrie eingesetzt werden können. Mithilfe dieser Ressourcen, wollen wir die großen Herausforderungen wie hohe CO2-Emissionen und einen hohen Energieverbrauch bei der Herstellung von Baumaterialien bewältigen.“
Prof. Hanaa Dahy, Leiterin der Forschungsgruppe für Biobasierte Materialien und Stoffkreisläufe in der Architektur (BioMat), Universität Stuttgart
Bioverbundwerkstoffe sind für die Bauwirtschaft mit ihrem großen CO2-Fußabdruck und immensen Ressourcenverbrauch eine große Chance. Sie bergen ein hohe Potenzial für eine bio-basierte Kreislaufwirtschaft, zumal Flachs im Gegensatz zu Holz eine schnell wachsende Pflanze ist. Neben den zu Flachsfasern soll auch das Harz für den Bioverbundwerkstoff möglichst aus nicht-fossilen Quellen stammen. Der Anteil des Bioharzes beträgt bei der Brücke in Almere noch 25 Prozent, doch schon bei der nächsten Brücke soll er auf 60 Prozent steigen – durch den Einsatz von Abfall-Produkten der Bio-Diesel-Herstellung.
Doch noch ist das Material neu: Deshalb werden die Brücken systematisch in Echtzeit überwacht. Knapp 100 Sensoren liefern Daten zum Materialverhalten im Alltag. Wie verhält sich das Bauwerk, wenn 200 Menschen zeitgleich darüber laufen? Was geschieht zu verschiedenen Jahreszeiten, bei Sturm, Hagel und Schnee? Wie verläuft der Alterungsprozess des Materials im Detail? Ein Structural Health Monitoring System (SHM) mit optischen Glasfaser-Sensoren in der Brücke liefert Informationen über Verformungen und Beschleunigungssensoren erfassen selbst feinste, durch Wind verursachte Schwingungen. Die Daten werden ki-basiert ausgewertet, um Muster im Materialverhalten zu erkennen. Wer möchte kann einen Blick darauf werden, denn die Daten sind öffentlich in einem Dashboard einsehbar.
Auf Grundlage dieser Daten lassen sich die Konstruktionen für die nächsten Brücken und viele weitere Anwendungen einfacher entwickeln und noch materialeffizienter auslegen. Aktuell forschen Teams bereits an Säulen und Fassaden-Elementen. Denkbar sind auch Rotorblätter von Windkrafträdern.
Mit Blick auf die Kreislaufwirtschaft untersucht das Projekt zudem, welche Optionen sich für den Baustoff ergeben, wenn die Brücken nach vielen Jahrzehnten das Ende ihrer Nutzungsdauer erreicht haben. Derzeit sind drei Möglichkeiten denkbar: mechanisches, chemisches und sogar biologisches Recycling mit Pilzen. Wichtig ist, dass das Materials so lange wie möglich im Nutzungskreislauf gehalten werden kann.
Bild oben: Die erste aus Biokompositen gebaute Brücke in Almere (Quelle: Smart Circular Bridge)
Quelle und weitere Infos: Pressemitteilung
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