Je weniger Material für ein Bauteil eingesetzt wird, desto effektiver können Ressourcen und das Klima geschont werden. CO2-Footprint und Ressourceneffizienz – nicht nur für Formteile aus Kunststoff besteht für beides ein direkter Zusammenhang mit dem Bauteilgewicht.

Doch auch die Lebensdauer hat einen großen Einfluss auf den CO2-Fußabdruck. Und so müssen die eingesetzten Werkstoffe mechanisch belastbarer sein, damit sie auch bei dünneren Wandstärken das Bauteil möglichst lange nutzbar machen. Als Werkstoffe besitzen Faserverstärkte Kunststoffe genau dafür ein gutes Eigenschaftsprofil.

Deshalb setzt die Idee des Projekts T3-Hub des von der AZL Aachen koordinierten Konsortiums genau hier an: Spritzgegossene Bauteile aus dem Massenmarkt mit Fasertapes zu verstärken, um Kunststoff und damit letztlich CO2 einsparen zu können, ohne an Lebensdauer durch zu geringe Wandstärken einzubüßen.

Aber ist das tatsächlich ein nachhaltiger Weg, um CO2-Emissionen zu senken? Denn eine vollständige Betrachtung muss auch das Recycling einbeziehen, das durch die Hybridisierung des Kunststoffs nicht vereinfacht wird – im Gegenteil. Und wird das Bauteil selbst durch die komplexeren Prozessschritte und die kosten- und CO2-intensiven Faserwerkstoffe nicht möglicherweise teurer und weniger nachhaltig? Wir fragen deshalb in unserer Reihe „Köpfe der Leichtbauwelt“ bei Fabian Becker, Projektleiter am AZL Aachen, nach.

Bild oben: Fabian Becker, Projektleiter T3 Hub (Quelle: AZL Aachen)

Leichtbauwelt: Im Projekt T3 Hub soll es um „Standardbauteile für kostengetriebene Massenanwendungen“ gehen. Genannt werden Formteile für Industrieanwendungen, E+E, Haushaltsgeräte oder das Transportwesen. Durch das Hybridisieren wird jedoch das Recycling deutlich erschwert. Wie gehen sie mit dieser Herausforderung um?

Fabian Becker: Das werkstoffliche Recycling ist bei solchen Bauteilen unverändert zum Status-Quo möglich. Das Projekt wird im Rahmen des Technologietransferprogramms Leichtbau der Bundesregierung gefördert: Die „Hauptwährung“ in diesem Programm ist die CO2-Einsparung. Die Recyclingfähigkeit und das Design-for-Recycling sind weitere Schwerpunkte.
Wir fokussieren daher auf das Verstärken von Thermoplastischen Bauteilen ausschließlich mit Thermoplastischen Faser-Tapes. Die angestrebte CO2– und Kostenersparnis beruht auf der Annahme, dass durch das Verstärken die Materialmenge insgesamt reduziert werden kann. Das bringt einen weiteren Vorteil: Es muss auch weniger Material recycelt werden.

Leichtbauwelt: Das ist nicht ganz die Antwort auf meine Frage. Lassen Sie mich präzisieren: Die Bauteile sind im Ursprungszustand aus gut recyclebarem, faserfreiem, weil unverstärktem Kunststoff hergestellt. Mit welchen Werkstoffen arbeiten Sie, um die Rezyklierbarkeit nicht zu beeinträchtigen? Und welche Fasern kommen in Betracht?

Fabian Becker: Wir zielen insbesondere auf technische Bauteile, die heute bereits mit kurz- oder langfaserverstärkten Spritzgießcompounds hergestellt werden. Bei den Thermoplasten haben wir keine Einschränkung, von PP (Polypropylen) bis PEEK (Polyetherehterketon) ist die Technologie unabhängig einsetzbar. Wichtig ist uns nur, die Anwendungen zu identifizieren, bei denen eine positive Material- und Kostenbilanz erreicht werden kann. Wir betrachten schwerpunktmäßig Glas-, Kohlenstoff- und Naturfaser.
Es gibt auch viele interessante Anwendungen zum Beispiel in der Logistik. Dort wird heute beispielsweise für Transportkisten unverstärktes PP und PE (Polyethylen) eingesetzt. Hier dürfen keine Verunreinigungen durch Fasern in den Recyclingkreislauf, daher laufen auch bereits Untersuchungen mit Eigenverstärkten Thermoplasten bei denen sowohl die Fasern als auch die Matrix zum Bespiel aus PP oder PE bestehen.

Hintergrund: Tape Technologie Transfer-Hub (T3-Hub)

Beiträge der einzelnen Konsortiumspartner
zur Abbildung einer ganzheitlichen Methodik entlang der Prozesskette (Quelle: AZL)

Im Projekt T3-Hub sollen statt extrem leichter und teurer Bauteile durch das Hinzufügen von Fasertapes Standardbauteile für kostengetriebene Massenanwendungen entstehen – zu wettbewerbsfähigen Kosten und mit deutlich reduziertem CO2-Footprint.  Anstelle des Bauteilgewichts steht im Projekt die Materialeinsparung hier an erster Stelle. Tapes sind wenige zehntel Millimeter dicke, zwischen 5 und 25 mm breite bandförmige Halbzeuge, die aus unidirektional orientierten Verstärkungsfasern, meist Glas oder Carbon, bestehen und in eine thermoplastische Matrix eingebettet sind.

Herkömmlich finden Fasertapes als flächige Laminate ihren Einsatz für hochbelastete Strukturbauteile in der Luft- und Raumfahrt, dem Automobilbau oder werden durch Wickeln zu Rohren oder Behältern verarbeitet. Derartige Bauteile sind sehr leicht, verfügen über exzellente mechanische Eigenschaften, sind aber im Vergleich zu Spritzgießbauteilen kostenintensiv und in den Stückzahlen limitiert.

Das Projekt verfolgt deshalb einen neuen Ansatz: Bionische Tape Strukturen sollen gezielt in „klassische“ Spritzgießbauteile eingebettet werden, um so Kosten einzusparen und den CO2-Fußabdruck in der Produktions- und Nutzungsphase zu reduzieren. Aufgrund der verstärkenden Wirkung der Tapes lassen sich unter anderem Wanddicken reduzieren und Verrippungen einsparen. Weitere Einsparpotentiale ergeben sich dadurch, dass durch die hohen mechanischen Tapeeigenschaften auch neue Anwendungen für alternative Compounds mit geringerem CO2-Fußabdruck, Recyclingmaterial oder auch bio-basierte Polymer und Faserwerkstoffe erschlossen werden.

Das Projekt, an dem außer dem AZL Aachen und dem IKV, unter anderem auch die Industrievereinigung verstärkte Kunststoffe (AVK), Simcon und Conbility beteiligt sind, ist auf 30 Monate angelegt und soll die Nischen-Technologie für Hochleistungsbauteile auf die Massenproduktion von Standard-Formteilen durch Materialreduktion und -substitution mittels lastgerechter Verstärkungseinleger übertragen. Das Projekt ist die Fortführung einer mit 20 Firmen durchgeführten Markt- und Technologieanalyse zur Tapeintegration in Spritzgießbauteile.

Leichtbauwelt: Können Sie schon heute ungefähr sagen, wie hoch die Materialeinsparung mindestens sein muss, damit die Verstärkung durch kostenintensive Fasertapes dennoch wirtschaftlich werden kann?

Fabian Becker: Tapes sind aufgrund der stark gestiegenen Produktionskapazitäten keine teuren Werkstoffe mehr, die Kosten nähern sich ähnlichen den Größenordnungen entsprechender Compounds an. Auch die Verarbeitungsverfahren von Tapes zu Einlegern sind heute verfügbar und effizient. Das war vor einigen Jahren noch ganz anders. Wir gehen von etwa zehn bis dreißig Prozent Materialeinsparpotenzial aus – im Einzelfall auch mehr. Der Break-Even hängt von vielen Faktoren ab und wird schrittweise im Laufe des Projektes für unterschiedliche Use-Cases demonstriert.

Leichtbauwelt: Wie steht es um die Prozesskette zur Herstellung der Teile? Wird diese durch das Einlegen der Tapes wesentlich komplexer?

Fabian Becker: Um genau diese Fragen zu klären, haben wir im Konsortium alle Kompetenzen sowohl zur Berechnung und Simulation der Bauteile und der Abbildung der gesamten Prozesskette vereint. Auf der methodischen Seite erarbeiten wir dazu Tools, die einen zügigen und kostengünstigen Engineering Prozess ermöglichen.

Maschine zum Legen der 2D-Tapes (Quelle: Conbility)

Die Prozesskette selbst unterscheidet sich für den Bauteilhersteller nicht wesentlich. Automatisierte Spritzgießzellen sind etabliert und bereits mit Handhabungssystemen für die Entnahme oder für Einlegeteile ausgestattet. Die Endeffektoren müssen zum Einlegen der Tapeeinleger befähigt werde und es müssen Möglichkeiten zur Übernahme im Werkzeug integriert werden. Die Einleger werden als Halbzeug bezogen oder zukünftig durch die bereits verfügbare Maschinentechnik direkt beim Verarbeiter hergestellt.

Leichtbauwelt: Welche besonderen Herausforderungen oder auch Chancen birgt das Projekt?

Fabian Becker: Die Verwendung von Endlosfaserhalbzeugen ist für typische Spritzgießunternehmen weit vom Alltagsgeschäft. Das hat auch eine breit angelegte Studie ergeben, die im Vorfeld der Projektanbahnung durchgeführt wurde. Wie auch Ihre Fragen implizieren, werden damit direkt Attribute wie „teuer“ oder „aufwendig“ assoziiert. Die Technologie kommt aus dem Super-Leichtbau. Wir haben das Projekt bewusst ohne die Einbindung eines Endanwenders implementiert, da wir das Potenzial an unterschiedlichsten Use-Cases demonstrieren werden und somit Aufmerksamkeit und Akzeptanz bei den Entwicklern und Herstellern von Spritzgießbauteilen schaffen. Die Entwicklung der Einzeltechnologien der Projektpartner soll die Implementierung unterstützen, da alle notwendigen Bausteine der Entwicklungs- und Fertigungsprozesskette auf einen hohen Reifegrad gebracht werden.

Leichtbauwelt: Welche Bauteile betrachten Sie bisher?

Fabian Becker: Wir sind erst vor einigen Wochen gestartet und analysieren gerade etwa 100 repräsentative Anwendungen. Dazu gehören zum Beispiel spritzgegossenen Behälter, Gehäuse von Elektrogeräten, Verkleidungs- und Trägerelemente im Transportwesen.

„Einsparungen beim Materialverbrauch sind der größte Stellhebel zur Senkung der Produktionskosten im Spritzgießprozess und des CO2-Fußabdrucks. Durch das Integrieren geringer Anteile von Tapes in typische Spritzgießbauteile soll der ökologische Fußabdruck bei mindestens Kostenneutralität reduziert werden.“
Fabian Becker, AZL Aachen

Leichtbauwelt: Wenn Sie jedes Bauteil individuell betrachten – welche Kriterien sollte ein Bauteil erfüllen, damit das Verstärken über Fasertapes wirtschaftlich wird und unter Umweltgesichtspunkten Sinn macht?

Fabian Becker: Wir bewerten die Bauteile nach einer ganzen Reihe an Gesichtspunkten. Wichtige Punkte stellen beispielweise die Bauteilmasse und die Lastfälle dar. Idealerweise sind die Bauteile Lastfällen wie beispielsweise Zug- oder Biegung ausgesetzt, damit die Vorteile der hohen mechanischen Eigenschaften in Faserrichtung der Tapes ausgespielt werden können.
Je höher das Schussgewicht desto geringer muss die relative Materialeinsparung ausfallen, um die etwas höheren Mehrkosten für die anlagentechnische Integration kompensieren zu können.

Leichtbauwelt: Für die Berechnung des CO2-Footprints gibt es ja durchaus unterschiedliche Anfangs- und Endpunkte. Welche Zeitspanne legen Sie für das Berechnen des resultierenden CO2-Footprints zugrunde?

Fabian Becker: Für alle Bauteile wird eine detaillierte Cradle-to-gate Auswertung durchgeführt, bei bewegten Bauteilen wird auch die Nutzungsphase berücksichtigt.

Craddle-to-gate = Wiege bis Werkstor: Im Rahmen dieser Analyse werden die Umweltwirkungen für die Produktion berücksichtigt. Diese beginnt bei den Rohstoffen und endet mit der Bereitstellung der fertigen Produkte am Werkstor des Herstellers.

Leichtbauwelt: Werden die Tapes umspritzt – und damit unlösbar mit dem Grundmaterial verbunden – oder forschen Sie auch an lösbaren Verbindungen? Wenn ja, welcher Art könnten diese sein – und wie belastbar sind sie?

Fabian Becker: Grundsätzlich streben wir einen Stoffschluss sortenreiner Thermoplaste an. Methoden zur Separierung werden konzeptionell betrachtet, sofern die Analysen Anwendungen mit besonders hohem Einsparpotenzial, aber der Notwendigkeit zur Trennung aufzeigen sollten.

Leichtbauwelt: Weitere Projektpartner sind sicher gerne gesehen, um die Know-how-Basis zu verbreitern. Was müssen Industriepartner mitbringen, die sich noch im Projekt beteiligen wollen?

Fabian Becker: Wir sind offen für Projektpartner, die als Anwender oder Hersteller von Spritzgießprodukten ein Interesse an der Umsetzung der Tape Technologie haben. Für ein Engagement im Projekt ist eine Bereitstellung von Daten zu den Bauteilen erwünscht, im Gegenzug analysieren wir die Bauteile in Bezug auf das Potential zur Kosten- und CO2-Einsparung und führen Tape-gerechte Redesigns durch. Für eine Demonstration der Prozesskette und Simulationskette wird eine enge Zusammenarbeit und die Nutzung der Werkzeuge der Industriepartner angestrebt.

Leichtbau ist für mich persönlich …
Immer lohnenswert, wenn er ganzheitlich zur Ressourceneffizienz führt.

Die größte Herausforderung im Leichtbau ist …
aus den vielfältigen Technologien die am besten geeignete auszuwählen.

Der wichtigste Trend im Leichtbau ist aktuell …
den Technologietransfer in die breite industrielle Anwendung zu gewährleisten

Leichtbau und Mobilität …
gehen Hand in Hand.

Leichtbau im Bauwesen…
ist Enabler für CO2-Reduktion bei Renovierung und Neubau.

Leichtbau ist eine Schlüsseltechnologie für den Klimaschutz, weil …
durch einen geringeren Materialverbrauch CO2 Einsparungen ermöglicht werden und gleichzeitig der Ressourcenverbrauch sinkt.

Dieses Interview für Leichtbauwelt ist mir wichtig …
um die Leser dafür zu sensibilisieren, dass eine Leichtbau-Technologie grundsätzlich CO2– und Kosteneinsparung in Massenanwendungen ermöglicht – unabhängig davon, ob das Bauteilgewicht eine Anforderung ist.

Die Informationsplattform Leichtbauwelt bietet Inspiration, weil …
sie durch die Vielfalt Impulse für den Transfer von Technologien zwischen den Werkstoff-Welten bietet



Persönlicher Kontakt zu Fabian Becker:

 

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