In der Artikelserie „Leichtbau leicht gemacht“ stellen wir auf Leichtbauwelt Fertigungsprozesse und Fügeverfahren für den Leichtbau vor. Welche das sein werden und wie die Prozesse, Verfahren und Technologien im Kontext stehen beantwortet der Einführungsbeitrag:
Leichtbau leicht gemacht: Fertigungsprozesse und Fügeverfahren
In den Antworten auf 10 Fragen zum Spritzgießen stellen wir den Spritzguss als Fertigungsprozess vor. Was ist Spritzgießen ? Welche Werkstoffe eignen sich für das Spritzgießen ? Welche Bedeutung hat das Spritzgießen im Leichtbau? Für welche Losgrößen eignet sich das Spritzgießen ? Wie nachhaltig ist der Spritzgießprozess? Worauf müssen Produktentwickler achten? In welchen Branchen werden spritzgegossene Bauteile verwendet? Welches sind die wichtigsten Vorteile und welches die wichtigsten Nachteile des Spritzgießens? Welche Entwicklungen sind im Spritzgießen für die Zukunft zu erwarten?
1. Was ist Spritzgießen?
Das Spritzgießen zählt, wie auch das Gießen, lt. DIN8580 zu den Urformverfahren. Spritzgießen – auch Spritzguss oder Spritzgießverfahren – ist ein verbreitetes Fertigungsverfahren.
Beim Spritzgießen handelt es sich um einen zyklischen Prozess, der aus fünf Hauptphasen besteht:
- Der Werkstoff wird in festem Zustand – meist als Granulat – der Spritzgießmaschine zugeführt und
- durch Erhitzen in einen viskosen Zustand gebracht.
- Das aufgeschmolzene Material wird mit Hilfe einer Schnecke unter hohem Druck in eine Form – auch Werkzeug oder „Mold“ genannt – eingespritzt. Die Hohlräume zum Abformen des Bauteils im Werkzeug werden als Kavitäten bezeichnet.
- In den Kavitäten kühlt das Material ab und erstarrt. Das fertige Teil entsteht.
- Nach dem Abkühlen öffnet sich das Werkzeug wieder und das Bauteil wird „entformt“.
Entweder fällt es dann auf ein Förderband (werkzeugfallend) oder es wird durch einen Robotergreifer vorsichtig aus den Kavitäten entnommen und auf das Förderband oder in Behälter abgelegt.
2. Welche Werkstoffe eignen sich für das Spritzgießen?
Ideal für das Spritzgießen geeignet sind Thermoplaste wie Polyethylen (PE), Polypropylen (PP), Polystyrol (PS) und Polyvinylchlorid (PVC). Aber auch Hochleistungspolymere wie Polyamid (PA) lassen sich spritzgießen. Ebenso können faserverstärkte Compounds durch Spritzguss verarbeitet werden. Thermoplaste – verstärkt und unverstärkt – bringen als Eigenschaften im Prozess gut erreichbare Schmelztemperaturen und die Fähigkeit mit, ihre Form nach dem Abkühlen beizubehalten. Aber auch Duroplaste können – mit angepassten Prozessparametern – spritzgegossen werden. Darüber hinaus können bestimmte Metalle und Keramiken im Spritzguss verarbeitet werden.
3. Bedeutung des Spritzgießens für den Leichtbau
Kunststoffe – unverstärkt oder faserverstärkt – sind in der Regel Werkstoffe mit einem geringeren spezifischen Gewicht als viele Metalle. Da sich durch das Spritzgießen leichte, robuste Teile in hohen Stückzahlen herstellen lassen, ist der Spritzguss für den Leichtbau ein wichtiges Fertigungsverfahren. Besonders wirtschaftlich ist das Spritzgießen für große Stückzahlen – beispielsweise für die Automobilindustrie oder die Branchen Sport und Freizeit, Telekommunikation und Elektronik sowie Medizintechnik.
Darüber hinaus ermöglicht das Spritzgießen die Herstellung komplexer und dünnwandiger Formen, was durch eine hohe Materialeffizienz zu einer weiteren Gewichtsreduktion beiträgt.
4. Warum eignet sich das Spritzgießen besonders für hohe Stückzahlen?
Für jedes Bauteil muss ein Werkzeug, eine Form, aufwendig angefertigt werden. Je komplexer das Produkt und je anspruchsvoller das Material, desto teurer wird das Werkzeug. Die Werkzeugkosten für das Spritzgießen sind im Vergleich zu anderen Verfahren deshalb besonders hoch, so dass der Spritzguss vor allem für große Stückzahlen eingesetzt wird. Weniger geeignet ist das Spritzgießen für Kleinserien oder Prototypen. Hier greift man heute eher auf additive Verfahren zurück.
5. Wie nachhaltig ist Spritzgießen?
Die Nachhaltigkeit eines Verfahrens ist sowohl vom Energeieinsatz, als auch im Hinblick auf den verarbeiteten Werkstoff zu beurteilen.
Vor allem Thermoplaste können aufgrund ihrer Eigenschaften mit relativ geringem Energieaufwand recycelt werden. Dennoch sind Kunststoffe eine Herausforderung für die Kreislaufwirtschaft. Denn zum einen müssen Wertstoffkreisläufe logitisch geschlossen werden, was noch nicht überall gelingt. Zum anderen können sie oft nicht eigenschaftserhaltend recycelt werden, denn Sortenreinheit und Faserverstärkung spielen hier eine Rolle.
Einige Unternehmen setzen mittlerweile auch bei technischen Teilen auf biobasierte Kunststoffe beziehungsweise Biokunststoffe, um den CO2-Footprint zu reduzieren.
Darüber hinaus kann das Spritzgießen als energie- und materialeffizientes Verfahren betrachtet werden. Die Prozesstemperaturen sind im Vergleich zur Metallverarbeitung niedrig. Es entstehen nur geringe Mengen Produktionsabfall. Überschüssiges Material – beispielsweise Angüsse oder fehlerhafte Teile – kann wieder regranuliert und in den Prozess eingeschleust werden.
6. Worauf müssen Entwickler und Konstrukteure achten, wenn ein Bauteil spritzgegossen werden soll?
Bei der Konstruktion oder Entwicklung eines Bauteils, das via Spritzguss hergestellt werden soll, sind mehrere Aspekte zu berücksichtigen. Dazu gehören die Form, Größe, die Materialauswahl, die Wandstärke und die Anforderungen an die mechanischen Eigenschaften, die Funktion und die Oberflächenbeschaffenheit. Eine Besonderheit beim Spritzgießen ist das Schrumpfen des Materials während des Abkühlprozesses, das bei den Abmessungen und Toleranzen des Bauteils zu berücksichtigen ist.
In wirtschaftlicher Hinsicht ist es notwendig, die Kosten für die Formherstellung und die Stückkosten im Auge zu behalten.
7. In welchen Branchen finden spritzgegossene Teile Anwendung?
Eines der Hauptargument, sich für den Spritzguss als Produktionsverfahren zu entscheiden, sind die möglichen hohen Stückzahlen und die Flexibilität des Verfahrens sowie die Variabilität der Werkstoffe. Eingesetzt werden spritzgegossene Bauteile deshalb vor allem in der Automobilindustrie, der Medizintechnik, der Elektronik und der Verpackungsindustrie.
Im Leichtbau tragen Kunststoff-Bauteile häufig zur Gewichtsreduktion bei, insbesondere in der Automobil- und Luftfahrtindustrie. Aber auch in anderen Branchen, wie beispielsweise bei Haushaltsgeräten oder Spielzeug, sowie in der Verpackungsindustrie, werden spritzgegossene Teile zur Reduktion des Gewichts gerne eingesetzt. Hier spielt vor allem die Dünnwandtechnik eine Rolle. Dabei handelt es sich um die Expertise, Bauteile möglichst dünnwandig unter Beibehaltung der notwendigen Stabilität zu produzieren. Das spart Material und unterstützt damit das Senken des CO2-Footprints der Bauteile.
8. Welche Vorteile und welche Nachteile hat der Spritzgießprozess?
➕ Beim Spritzgießen lassen sich hohe Produktionsgeschwindigkeiten erreichen – zum einen über kurze Zykluszeiten, zum anderen durch große Werkzeuge mit vielen Kavitäten, so dass sich in einem Arbeitsgang – man sagt auch „in einem Schuss“ – viele Teile gleichzeitig hergestellt werden können. Insbesondere kleine Massenteile – beispielsweise Pipettenspitzen, Kugelschreiber, Steckverbinder oder ähnliches – werden deshalb meist spritzgegossen. Das können dann durchaus über 100 Stück in weniger als einer Minute sein.
➕ Zum Herstellen komplexer Formen sind wiederum auch komplexe Werkzeuge notwendig. Die Komplexität bezieht sich dabei beispielsweise auf die Anzahl der beweglichen Teile im Werkzeug (Schieber, Kernzüge), auf die Anzahl der sogenannten Anspritzpunkte oder die Temperaturführung im Werkzeug.Hilfreich ist in jedem Fall eine genaue Spritzguss-Simulation, die sich im besten Fall auf exakte Werkstoff- und Maschinendaten stützt.
➕ Darüber hinaus ermöglicht das Spritzgießen eine hohe Materialeffizienz und es lassen sich viele verschiedene Materialien verarbeiten. Im Spritzgießprozess können sogar mehrere Werkstoffe gleichzeitig in einem Schuss verarbeitet werden (sogenanntes Merhkomponenten-Spritzgießen, 2K- oder 3K-Spritzgießen) oder
➕ es können nachträglich Strukturen auf ein Bauteil aufgebracht werden. Das nachträgliche Aufbringen von Strukturen wird häufig im Leichtbau eingesetzt: Verrippungen beispielweise können auf flächige Bauteile aufgebracht werden.
Ein Beispiel für 2K-Spritzgießen haben wir alle täglich in der Hand: die meisten Zahnbürsten haben heute eine harte glatte Grundstruktur und weiche Griffhilfen. Hier werden Hart- und Weichkomponente gleichzeitig verarbeitet.
➖ Nachteilig sind primär die hohen Anfangskosten für das Herstellen des Werkzeugs bzw. der Form. Diese sollten sich über die Laufzeit der Serienproduktion amortisieren lassen.
➖ Die Materialauswahl für das Spritzgießen ist insofern eingeschränkt, als der Werkstoff in der Regel durch Erhitzen mehr oder weniger viskos werden sollte.
➖ Und das Herstellen sehr großer Teile via Spritzguss ist kaum möglich oder energetisch wirtschaftlich: Die Fließwege sind dann zu lang und der Werkstoff erstarrt, bevor alle Räume der Kavität ausgefüllt sind.
➖ Darüber hinaus bedarf das Spritzgießen trotz umfangreicher Assistenzsysteme der meisten Maschinenhersteller einer gewissen Erfahrung und Expertise. Denn eine falsche Maschinenbedienung oder eine fehlerhafte Einstellung der Prozessparameter führt vergleichsweise häufig zu Qualitätsproblemen, wie beispielsweise Lufteinschlüssen oder Verformungen.
9. Wie wird sich das Spritzgießen der Zukunft entwickeln?
Die Technologie des Spritzgießens hat noch viel Potenzial. Dazu gehören
- eine weiter optimierte „Intelligenz“ in der Maschinensteuerung,
- weiter entwickelte Automatisierungsstrategien der gesamten Fertigungszelle inklusive der Robotik,
- Weiterentwicklungen der Spritzgießmaschinen hinsichtlich Energieeffizienz, Null-Fehler-Produktion, Flexibilität und Rüstzeiten,
- der routinierte Einsatz von Biokunststoffen, die im Spritzgießen eine besondere Herausforderung darstellen,
- sowie weitere Fortschritte in der Werkzeugtechnologie.
10. Lässt sich das Spritzgießen mit anderen Fertigungsverfahren kombinieren?
Das Spritzgießen kann sogar sehr gut mit anderen Fertigungsverfahren kombiniert werden, um die Funktionalität und Leistung des Endprodukts zu verbessern. Beispiele hierfür sind das Overmolding, bei dem ein spritzgegossenes Teil mit einer zusätzlichen Schicht aus einem anderen Material überzogen wird oder das Insert Molding, bei dem vorgefertigte Teile in die Form eingelegt und dann mit Kunststoff umspritzt oder Strukturen angespritzt werden.
Viele Maschinenhersteller bringen – auch für Leichtbauanwendungen eigene Verfahren auf den Markt, bei denen der Spritzguss beispielsweise mit Schäumen, Herstellungsverfahren für Composites oder Injektionstechnologien kombiniert wird. Auf wachsendes Interesse stoßen additive Fertigungsverfahren als Ergänzung zum Spritzgießen. Eine weitere aktuelle und interessante Entwicklung ist eine Spritzgießaggregat an einem Roboterarm (Robin von Anybrid – Sieger der Leserwahl Pionier der Leichtbauwelt 2022) – eine Entwicklung, die durch Leichtbau möglich wurde.
Autor: Christine Koblmiller, Redakteurin, Gründerin, Fachjournalistin aus Leidenschaft, überzeugter Leichtbau-Fan.
Mit dem Metamagazin Leichtbauwelt.de habe ich 2018 den Schritt in die Selbständigkeit gewagt und mit Leichtbauwelt ein neues Medienformat im B2B-Umfeld geschaffen. Seit etwa 25 Jahren bin ich Redakteurin für technische B2B-Fachzeitschriften. Für verschiedene führende Fachmagazine habe ich als eBusiness-Projektmanager Industrie schon 2001 crossmediale Angebote eingeführt, denn die Digitalisierung aller Lebensbereiche hat Einfluss auf unser Informationsverhalten. Deshalb bin ich mir sicher, dass sich die Medienbranche wandeln muss. Mehr über mich finden Sie unter Conkomm, auf Xing oder LinkedIn.
„Leichtbau fasziniert und begeistert Techniker. Er ist für die Herausforderungen der Zukunft unabdingbar. Deshalb bin ich sicher, dass der Markt für ein Angebot wie Leichtbauwelt.de reif ist.“
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