Dass es zwischen Kreislaufwirtschaft, Rohstoff-Lieferketten, Leichtbau, Klimaschutz und CO2-Emissionen Zusammenhänge gibt, darüber herrscht allenthalben Konsens. Schwierig scheint dagegen zu sein, diese Zusammenhänge klar zu definieren und Abhängigkeiten richtig zu ordnen. Auf Leichtbauwelt werden wir uns deshalb diesen Themen in der nächsten Zeit häufiger widmen.

In den letzten beiden Wochen habe ich zwei Events besucht, die sich mit Leichtbau und Nachhaltigkeit beschäftigt haben:

Am 18. April fand der 4. Lightweighting Summit der Hannover Messe unter der Überschrift „Leichtbau 2.0 in der Circular Economy“ im Rahmenprogramm der Industriemesse statt. Nach Brüssel zum Thema „No Green Deal without Lightweighting Design“, hatte am 04. Mai die Initiative Leichtbau des BMWK zusammen mit Composites United, der BTU Cottbus-Senftenberg und der VDMA AG Hybride Leichtbautechnologien am 04. Mai eingeladen. Mitgetragen wurde die Veranstaltung von den Europäischen Partnernetzwerken ELA, Elca, ECGA und EuCIA.

Dr. Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister (Quelle: BMWK | B. Lammel)

Anlässlich des 4. Lightweighting Summit umriss Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck sehr klar, dass er den Leichtbau als eine der wichtigsten Säulen bei der Transformation zu einem nachhaltigen Industriestandort sehe. Deshalb kündigte er eine explizite Leichtbau-Strategie des Bundes noch vor der Sommerpause zur Veröffentlichung an. Er verwies jedoch auch darauf, dass die Möglichkeiten der Politik auf drei Maßnahmen Fördern, Regulieren oder Rahmen setzen beschränkt seien und die Verantwortung für den Leichtbau, für Nachhaltigkeit und Klimaschutz eine gemeinsame sei.

„Bei der Förderung sehe ich vor allem die Forschungsförderung, um effektiv mit wenig Einsatz viel auszurichten.“
Dr. Robert Habeck, BMWK

Regulierungen des Marktes seien in der jetzigen Phase für den Leichtbau eher kritisch, zu frühe Regulierung eher als hinderlich für die weitere Entwicklung. Allerdings warf er die Idee einer möglichen näheren Bestimmung, Kontrolle oder Regulierung des Produktdesigns ausdrücklich zum Diskutieren in den Ring. Um Märkte zu kreieren, bliebe dann noch, Rahmenbedingungen zu setzen. Der CO2-Preis sei eines dieser Steuerungsinstrumente. Für den Leichtbau sei dabei aber noch alles offen: Leichtbau in öffentlichen Ausschreibungen, Förderung von Leichtbau bei Sanierungen, etc. Die Arbeitsaufgabe an den Summit – and beyond:

„Welche politischen Instrumente benötigen wir, um einen florierenden Markt rund um den Leichtbau zu fördern und damit Deutschland und Europa als einen der Key-Player für eine im doppelten Wortsinn nachhaltige industrielle Transformation zu positionieren?“
Dr. Robert Habeck, BMWK

Dr. Gunnar Merz, Sprecher der Initiative Leichtbau des BMWK und Geschäftsführer von Composites United, beschreibt die Auswirkungen von Leichtbau auf Nachhaltigkeitsziele (Quelle: Leichtbauwelt)

Wenn ich beide Veranstaltungen Revue passieren lasse, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass „Leichtbau“ nicht nur für die Politik, sondern auch für die Industrie „schwer“, das heißt wenig fassbar zu sein scheint. Dabei ist Leichtbau „nur“ umfassend, quasi ubiquitär. Leichtbau ist eines der wichtigsten Gestaltungsprinzipien der Natur. Und an dieser müssen wir uns stärker orientieren, wenn wir von nachhaltig sprechen und unsere Zukunft nachhaltig gestalten wollen. Leitlinie dafür sind die 17 Nachhaltigkeitsziele.

Leichtbau unterstützt sieben der 17 Sustainable Development Goals

In Brüssel – auf einem interessanten Event mit fachkompetenten und diskussionfreudigen Teilnehmenden – wurden zwar lediglich sechs genannt, aber es sind meiner Ansicht nach tatsächlich sieben.

  • Ziel 7: Bezahlbare und saubere Energie
    Leichtbau reduziert den Energieverbrauch in der Mobilität zu Land, Luft und auf dem Wasser. Durch eine optimierte Energieeffizienz verringern sich die Treibhausgasemissionen.
    Leichtbautechnologien sind Teil der Entwicklung von Solar-, Wind- und Wellenkraftwerken sowie der Verteilung und Speicherung von Energie – beispielsweise Wasserstoff
  • Ziel 8: Menschenwürdige Arbeitswelt und wirtschaftliches Wachstum
    Leichtbau ermöglich leichter handhabbare Werkzeuge, ist Teil von Exoskeletten und sorgt für leichtere (effizientere) Maschinen und Fortschritte in der Automation, beispielsweise durch Cobots und Leichtbau-Roboter.
    Leichtbau ist schon heute ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Leichtbau-Expertenwissen und -Technologien können zum entscheidenden europäischen Wettbewerbsvorteil werden, da sie künftig weltweit nachgefragt werden (müssen).
  • Ziel 9: Industrie, Innovation und Infrastruktur
    Leichtbau verbessert die Effizienz und Nachhaltigkeit in Industrie und Infrastruktur, indem durch Leichtbau erhebliche Einsparungen bei Materialien, Energie und Emissionen erreicht werden. Das betrifft sowohl die Produktion selbst als auch die Lieferketten.
  • Ziel 11: Nachhaltige Städte und Gemeinden
    Durch Leichtbau können auch Städte und Gemeinden nachhaltiger gestaltet werden, indem Energie und Ressourcen eingespart werden. Sowohl Mobilität als auch Infrastruktur können effizienter und umweltfreundlicher werden. Und nicht zuletzt spielt der Leichtbau auch bei zukünftigen IoT-Lösungen eine Rolle.
  • Ziel 12: Nachhaltige Produktion und Konsum
    Leichtbau reduziert Ressourcenverbrauch und damit die Umweltauswirkungen in der Produktion und nachgelagert – des Konsums, indem Material- und Energieeinsparungen möglich werden.
  • Ziel 13: Maßnahmen zum Klimaschutz
    Durch Leichtbau können Treibhausgasemissionen reduziert und damit der Klimawandel verlangsamt werden. Möglich wird das durch erhebliche Einsparungen bei Energie und Ressourcen erzielt werden.
  • Ziel 15: Leben an Land
    Leichtbau kann dazu beitragen, die Lebensqualität und die Umweltbedingungen zu verbessern, indem durch Leichtbau Einsparungen bei Materialien, Energie und Emissionen erzielt werden können. Außerdem werden durch Leichtbau neue architektonische Wohn- und Gebäudeformen, sowie Mobilitätsformen auf der Kurzstrecke möglich, die in den urbanen Ansiedelungen der Zukunft ein natürlicheres Leben gestatten werden.
Durch Leichtbau erzielbare Einsparungen bei Materialien, Energie und Emissionen führen daher auf mehreren Ebenen zu einer besseren Lebensqualität und weniger negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Leichtbau ist deshalb mit guten Grund integraler Bestandteil unserer Bemühungen um die möglichst nachhaltige Zukunft in einer industrialisierten Wohlstands-Gesellschaft.

Ist Leichtbau Teil der Kreislaufwirtschaft?

Ich denke: Nein. Versuchen wir die zu Anfang genannten Schlagworte über den Aspekt Materialverbrauch / Ressourcenverbrauch in einen logischen Zusammenhang und die richtige Reihenfolge zu stellen.

  1. Wenn Material eingesetzt wird, muss es anschließend so lange wie möglich im Kreislauf geführt werden. = Kreislaufwirtschaft
  2. Die Anfälligkeit von Rohstoff-Lieferketten lässt sich durch umfassendes Recycling und einen geringeren Bedarf vermindern.
  3. Leichtbau heißt Gewicht und Materialverbrauch reduzieren. Dazu werden vor allem in der Designphase verschiedene Technologien eingesetzt: passende Werkstoffauswahl Funktionsintegration, Topologieoptimierung etc.
  4. Niedrige CO2-Emissionen tragen zum Klimaschutz bei.
  5. Geringer Materialverbrauch und ein geringes Gewicht bedeuten meistens weniger CO2-Emissionen durch niedrigeren Energieeinsatz bei der Herstellung und über die Lebensdauer.

„Leichtbau“ ist folglich kein Teil der Kreislaufwirtschaft, sondern eine grundlegende Denkweise für künftiges Produktdesign.

„80% des CO2-Footprints sind direkt vom Produktdesign abhängig. Genau da zieht der Leichtbau mit seiner optimierten Materialeffizienz“
Dr. Martin Vogt, Geschäftsführer, VDI Zentrum Ressourceneffizienz GmbH

Je weniger Material genutzt wird (Leichtbau), desto klimafreundlicher wird auch die Kreislaufwirtschaft, da die Mengen an (meist mit Energieeinsatz) zu recycelnden Werkstoffen abnehmen. Und auch die Rohstoff-Lieferketten könnten sich zunehmend entspannen, wenn nicht nur weniger Material eingesetzt wird, sondern zudem die Werkstoffe auch aus – im besten Fall regionalem – Recycling zur Verfügung stehen.

Sicher ist das etwas vereinfacht, denn wie immer bei komplexen Zusammenhängen steckt der Teufel im Detail. Natürlich müssen Werkstoffe für einem zweiten Einsatz qualitativ geprüft werden, die Produktsicherheit muss auch beim Einsatz recycelter Werkstoffe gewährleistet sein. Die Logistik und das Labelling für Wertstofffraktionen müssen transparenter, nachvollziehbar und Rücknahmekonzepte und als Rahmenbedingungen für sinnvolles Wirtschaften europäisch vereinheitlicht werden. Damit nicht

„…der CFK-Stoffstrom zwischen grünem Wertstoff und Sondermüll mäandert.“
Tim Rademacker, General Manager Carbon Fiber Recycling, Mitsubishi Chemical Group

Kreislaufwirtschaft ist uns aus dem Alltag ein Begriff – mit Leichtbau können die Wenigsten etwas anfangen. Das muss sich ändern. (Quelle: Depositphotos)

In den folgenden Diskussionen und Vorträgen in Hannover standen die Themen Recycling und Kreislaufwirtschaft im Vordergrund. Der Begriff Leichtbau fiel äußerst selten, obwohl wir uns doch auf einem „Leichtbau“-Gipfel befanden. Warum?

Leichtbau müssen wir lernen, Müll trennen können wir! Können wir?

Tatsächlich ist es sogar noch einfacher: Wir sehen täglich in den Nachrichten, wieviel Abfall die Industrienationen verursachen, kennen das Kreislaufwirtschaftsgesetz (zumindest den Titel), wissen, welche Gegenstände im Handel zurückgenommen werden müssen, trennen brav unseren Hausmüll und müssen unsere Mülltonnen leeren.
Die Kreislaufwirtschaft wird so Teil unseres Lebens, unseres alltäglichen Erlebens. Ergo fällt es uns auch leicht darüber zu sprechen. Allerdings scheint selbst in der Kreislaufwirtschaft noch sehr viel Luft nach oben:

 „Global werden lediglich 8,6 % der Werkstoffe im Kreislauf geführt. Diese zirkuläre Quote ist viel zu niedrig.“
Prof. Dr. Ulrich Panne, Präsident, Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung

Und wie steht es mit Leichtbau? Wo erleben wir Leichtbau? Wo WISSEN wir um seine Existenz in den Produkten des alltäglichen Umgangs? Wo SEHEN wir seine Auswirkungen, seinen Nutzen?

Wir nehmen Leichtbau in nahezu jedem Fall als selbstverständlich hin, ohne uns des Leichtbaus im Produkt bewusst zu sein. Wir freuen uns, wenn wir das E-Bike gerade noch tragen können. Wenn wir uns am Staubsauger keinen Bruch heben. Wir haben uns an „instabile“ Wasserflaschen gewöhnt, ohne uns darüber klar zu sein, wie viele Flaschen mehr aus derselben Menge rPET mittlerweile hergestellt werden können. Wir tragen fröhlich Smartphones durch die Gegend, die vor wenigen Jahren mit demselben Funktionsumfang noch mindestens das Doppelte auf die Waage gebracht hätten. Wir nutzen selbstverständlich Flugzeuge wie Busse, nehmen hin, dass Windkraftwerke immer größer, Prothesen immer smarter und Autos immer intelligenter werden, ohne zu verstehen, dass all das nur durch Leichtbau möglich ist.

Zusammenfassung

Um den Leichtbau als Mindset zu etablieren, ist unabdingbar für Industrie, (europäische) Verbände und Forschungseinrichtungen, die Presse und nicht zuletzt die Politik: Leichtbau muss SICHTBAR und ERLEBBAR werden.

Bild oben: Wie leicht ist nachhaltig – Leichtbau unterstützt viele Nachhaltigkeitsziele, die unser Leben beeinflussen. (Quelle: Depositphotos)


Christine Koblmiller

Autor: Christine Koblmiller, Redakteurin, Gründerin, Fachjournalistin aus Leidenschaft und überzeugter Leichtbau-Fan.

Mit dem Metamagazin Leichtbauwelt.de habe ich 2018 ein neues Medienformat im B2B-Umfeld geschaffen. Leichtbauwelt ist Inspiration für Ihren Fortschritt und Wissen, wie’s leicht wird. Leichtbauwelt verlinkt, vernetzt und ordnet ein, verlagsunabhängig und transparent. Partei ergreife ich nur für den Leichtbau, von dessen Nutzen ich überzeugt bin.

Seit etwa 25 Jahren bin ich Redakteurin für technische B2B-Fachzeitschriften. Für verschiedene führende Fachmagazine habe ich als eBusiness-Projektmanager Industrie schon 2001 crossmediale Angebote eingeführt, denn die Digitalisierung aller Lebensbereiche hat Einfluss auf unser Informationsverhalten. Deshalb bin ich mir sicher, dass sich die Medienbranche wandeln muss. Mehr über mich finden Sie unter Conkomm, auf Xing oder LinkedIn.

„Leichtbau fasziniert und begeistert Techniker. Die Entwicklung von Leichtbauwelt zeigt, dass der Markt ein solches Angebot braucht.“

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