Rattan als Leichtbaumaterial? Bekannt ist der häufig geflochten eingesetzte Werkstoff als Design- und Funktionselement in Möbeln oder als Material für Korbwaren. Diese sind sehr leicht. Nicht nur aufgrund der geflochtenen Verarbeitung, sondern auch, weil Peddigrohr eine geringe Dichte aufweist. Rattan gilt aufgrund der schnellwachsenden Pflanze als einer der nachhaltigsten Möbelwerkstoffe.
Julian Reuter erkannte das Potential der Pflanze als Basis für einen nachhaltigen technische Leichtbauwerkstoff. Das resultierende Material ist aufgrund der Struktur und Wasserversorgung der Pflanze einzigartig – und mindestens ein Interview wert. Begleiten wir den Pionier der Leichtbauwelt auf seiner Reise – vom Surf Trip zum Unternehmer mit einer greifbaren Vision für eine ökologische Transformation bestimmter Industriebereiche.
Bild oben: Julian Reuter (Quelle: Karuun)
Im Leichtbau sind branchen- und werkstoffübergreifende Impulse und neue Inspirationen für kreative, technologische Lösungen äußerst wertvoll. In der Serie „Pioniere der Leichtbauwelt“ kommen deshalb Gründer und Start-ups zu Wort. Hier haben sie die Möglichkeit, ihre Technologie, ihre Ideen und Visionen vorzustellen. Wenn sich so neue Partnerschaften über Unternehmens- und Branchengrenzen hinweg ergeben, dann haben wir bei Leichtbau(welt) unser Ziel erreicht: Inspiration für ihren Fortschritt.
Der Weg der ofs Unternehmensgruppe von ihrer Gründung bis heute ist bemerkenswert – vom Zwei-Mann-Start-up zu einer international agierenden Unternehmensgruppe mit den zwei Tochterfirmen karuun GmbH und out for space GmbH sowie einer Repräsentanz in Indonesien mit mehr als 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Über die komplette Lieferkette des Werkstoffs Karuun wirken bereits über 100 Personen mit.
Leichtbauwelt: Wie kommt man auf die Idee, Leichtbauwerkstoffe aus Rattan zu fertigen?
Julian Reuter: Während eines Surftrips in Indonesien bin ich 2012 auf einem kleinen Kunsthandwerkermarkt zum ersten Mal zufällig auf den faszinierenden Leichtbauwerkstoff Rattan gestoßen. Die Vielseitigkeit dieses Materials hat mich unmittelbar inspiriert. Ich beobachtete, wie Handwerker erstaunliche Verformungen und Konstruktionen aus diesem Naturprodukt herstellten und war sofort begeistert. Als Student des Produktdesigns war ich sofort von seinen natürlichen Eigenschaften der Verformbarkeit, Leichtigkeit und gleichzeitig extremen Robustheit fasziniert.
„Ein Produkt kann nur so smart, sozial oder nachhaltig sein wie das Material, aus dem es besteht.“
Leichtbauwelt: Was war der Ausgangspunkt Ihrer Entwicklung?
Julian Reuter: Die Erkenntnis, dass Kultivierung und Ernte von Rattan in den 70er und 80er Jahren sogar zum Schutz des Regenwaldes beigetragen hatte, ließ in mir eine wegweisende Vision entstehen: den Werkstoff Rattan wiederzubeleben. Diese Vision teilte ich mit Peter Kraft, einem langjährigen Freund und Produktdesigner, mit dem ich bereits während des Studiums erfolgreich Projekte realisiert hatte. Uns verband die Suche nach Materialien und Lösungen, welche Ökologie, Design und Wirtschaftlichkeit verbinden. Wir erkannten das Potenzial dieses „versteckten Schatzes“ – eines weltweit einzigartigen High-Tech Werkstoffs, der nicht nur nachhaltig, sondern auch wirtschaftlich ist. In Zusammenarbeit mit dem Innovationszentrum Lichtenfels entwickelten wir die Materialinnovation karuun – ließen diese als Warenzeichen eintragen und gründeten gleichzeitig das Unternehmen out for space. Unsere Überzeugung lautet: „Ein Produkt kann nur so smart, sozial oder nachhaltig sein wie das Material, aus dem es besteht.“
Rattan, auch Rotang oder Peddigrohr, ist ein Produkt aus dem Stamm von Rattanpalmen der Gattung Calamus oder anderer Palmen der Unterfamilie der Calamoideae. Die Bezeichnung „Rattan“ stammt aus dem Malaiischen (dort rotan). Peddigrohr kommt aus dem niederdeutschen paddik ‚Pflanzenmark‘. Die bekannteste Verwendung von Rattan und Peddigrohr sind Korbwaren und geflochtene Möbel, insbesondere Stühle und Sessel. Feucht und besonders unter Dampf oder mit der Heißluftpistole wird das Rattanmaterial weich und elastisch genug zum Flechten. Im Bild sieht man den Querschnitt eines Peddigrohrs. Darin erkennt man die poröse Struktur des Holzes, die Rattan seine geringe Dichte und seine besondere Elastizität verleiht.(Quelle: Wikipedia)
Leichtbauwelt: Woher kommt der Name für die Unternehmensgruppe?
Julian Reuter: Der Name „out for space“ (ofs) verkörpert unsere Leidenschaft neuen Raum für ein erweitertes Bewusstsein zwischen Mensch und Natur zu schaffen. Unser Ziel ist, Vorreiter in einem ökonomischen Wandel zu sein, der auf Nachhaltigkeit und ganzheitlicher Entwicklung basiert. Wir sind fest davon überzeugt, dass eine langfristig erfolgreiche und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung nur dann möglich ist, wenn Umweltziele, soziale Verantwortung und wirtschaftlicher Erfolg gleichermaßen berücksichtigt und verwirklicht werden. Indem wir diese Aspekte gleichzeitig und gleichberechtigt in unsere Strategien und Handlungen integrieren, streben wir nach einer harmonischen und nachhaltigen Einheit zwischen Mensch und Umwelt.
Leichtbauwelt: Wie ergänzen Sie sich im Team?
Julian Reuter: Eine interdisziplinäre Teamzusammensetzung auf Augenhöhe war für uns von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil unseres Erfolgs. Wir sind der festen Überzeugung, dass in einer Organisation immer drei verschiedene Führungstypen notwendig sind: der Visionär, der Manager und die Fachkraft. Jeder dieser Typen erfüllt unterschiedliche Aufgaben und trägt zum Gesamterfolg bei. Daher wäre es kontraproduktiv, die einzelnen Führungstypen oder -rollen gegeneinander aufzuwiegen oder abzuwerten. Wir schätzen die Vielfalt der Führungsstile und erkennen die Bedeutung jedes einzelnen für das reibungslose Funktionieren und das Erreichen unserer Ziele an. Durch die Anerkennung und Förderung aller drei Führungstypen schaffen wir ein Umfeld, das auf Zusammenarbeit, Wachstum und gemeinsamen Erfolg ausgerichtet ist.
Leichtbauwelt: Was hat Karuun mit Leichtbau zu tun?
Julian Reuter: Leichtbau ist wahrscheinlich eines der ersten Dinge, die einem Ingenieur oder einer Ingenieurin in den Sinn kommen, wenn sie Karuun in den Händen halten 😉. Rattan ist das Basismaterial, das in seiner Tradition bereits für viele Leichtbau-Anwendungen im Flecht- und Möbelbau Verwendung findet. Bei unserem Karuun-Material handelt es sich um Rattan, das in weiter veredelter Form als Halbfertigware vorliegt. Es behält dabei die gleichen grundlegenden Eigenschaften bei, bietet jedoch ein viel breiteres Anwendungsspektrum, insbesondere für die verarbeitende Industrie. Durch diese Veredelung des Rattans und die technische Weiterentwicklung eröffnen sich umfangreiche Möglichkeiten für die Industrie und mit einer deutlich breiteren Palette an Verarbeitungsmöglichkeiten.
Leichtbauwelt: Wie verändern Sie das natürliche Material, um es industrietauglich zu machen? Können Sie für uns ihre Innovation in wenigen Sätzen erklären?
Julian Reuter: Unsere patentierte Verarbeitungstechnologie macht sich die charakteristischen Kapillare von Rattan zunutze. Dadurch ist es erstmals möglich, in einem Arbeitsschritt den gesamten Querschnitt von Rattanstangen zu behandeln. Mit sehr geringem Energieaufwand injizieren wir licht- und UV-stabile Farbpigmente in die Kapillare der geschälten Rattanstange. Unser Verfahren erlaubt es erstmals, einen natürlichen Rohstoff über die Gefäße von innen nach außen zu behandeln. Anschließend wird die Karuun Stange quadratisch gefräst, die Kantlinge zu Platten verleimt und dann zu Blöcken gepresst.
Das Besondere ist, dass sich auch die dabei anfallenden Fasern in unterschiedlichen Produkten weiterverarbeiten lassen. Je nach Schnittrichtung zur Faser ergeben sich verschiedene Materialeigenschaften mit vielen Anwendungsmöglichkeiten: Durch den vertikalen Schnitt entstehen das robuste und verformbare Karuun stripe und Karuun 3D; durch den horizontalen Schnitt entsteht das licht- und luftdurchlässige Karuun shine. Trotz dieser erheblichen Modifikation bleibt die dem Material eigene Charakteristik erhalten: Die unverwechselbare Faserstruktur der Stange geht in die Fläche über.
Leichtbauwelt: Was ist für potentielle Anwender besonders interessant?
Julian Reuter: Mit Karuun haben wir eine wirklich nachhaltige Materialinnovation entwickelt, die im Einklang mit unserem Ökosystem steht. Das Nutzen von Rattan und der Erhalt des Regenwaldes in Indonesien haben in der Vergangenheit sehr gut harmoniert – eine große Chance, diese Symbiose wieder aufleben zu lassen. In den letzten Jahrzehnten wurden Rattanprodukte weitestgehend durch künstliche Materialien ersetzt und der nachhaltige Hintergrund des Materials beinahe vergessen. Bis jetzt. Doch mit einer bewussten Kultivierung von Rattan können wir den Schutz der Tropenwälder endlich in die Tat umsetzen und moderne Kreislaufwirtschaft neu interpretieren.
Leichtbauwelt: Das bedeutet, dass der Anbau des Materials den Regenwald nicht verdrängt, sondern zum Klimaschutz beiträgt?
Julian Reuter: So ist es. Rattan ist auf Biodiversität angewiesen, wächst nicht in Monokulturen und bildet somit auf natürliche Weise eine Symbiose mit benachbarten Bäumen; es braucht den Regenwald zum Gedeihen. Als ein nachwachsender Rohstoff wächst Rattan wie eine Liane von Baum zu Baum und wird auf die umweltfreundlichste Art und Weise geerntet: per Hand von lokalen Bauern. Der Schutz der Tropenwälder ist enorm wichtig: Sie sind nicht nur Lebensgrundlage vieler Völker und Lebensraum zahlreicher Pflanzen und Tiere, sondern binden Schätzungen zufolge etwa 250 Milliarden Tonnen CO2, etwa das 90-fache der menschengemachten Treibhausgas-Emissionen, pro Jahr (Quelle: Wikipedia). Durch den Kauf und die Verwendung von Rattan für Karuun erhöhen wir den Stellenwert von Tropenwäldern, schaffen ein langfristig stabiles Einkommen für die Bauern und dadurch einen Anreiz zum Erhalt der Waldressourcen.
Leichtbauwelt: Wird dieser Beitrag von den Anwendern gesehen oder gar geschätzt?
Julian Reuter: Die Kultivierung von Rattan für Karuun wird von den Anwendern sowohl positiv wahrgenommen als auch geschätzt. Indem wir den ökologischen und sozialen Paradigmenwechsel in der Wirtschaft aktiv vorantreiben, tragen wir dazu bei, dass sich die Industrie im Zuge der Globalisierung neu ausrichtet. Diese Veränderungen betreffen nicht nur die Ökosysteme, sondern auch die Werte der globalen Gesellschaft, Kultur und Politik. Indem wir einen nachhaltigen und innovativen Werkstoff anbieten, spielen wir eine aktive Rolle in diesem Prozess und erfüllen die Bedürfnisse der Industrie, die sich vermehrt für ökologische und soziale Aspekte engagiert.
„Wir sind fest davon überzeugt, dass eine langfristig erfolgreiche und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung nur dann möglich ist, wenn Umweltziele, soziale Verantwortung und wirtschaftlicher Erfolg gleichermaßen berücksichtigt und verwirklicht werden.“
Leichtbauwelt: Worin sehen Sie den größten Nutzen für Ihre Kunden?
Julian Reuter: Mit Karuun bricht eine neue Ära in der Materialwelt an. Durch den Einsatz einer energieeffizienten Technologie wird die natürliche Struktur der Rattanpalme zu einem einzigartigen „Nature Tech Material“ umgewandelt, das sowohl nachhaltig als auch wirtschaftlich ist.
Leichtbauwelt: Für welche Branchen ist das Material sinnvoll und effektiv einzusetzen? Welche besonderen Eigenschaften prädestinieren es dafür?
Julian Reuter: Das einzigartige an Karuun ist seine Vielseitigkeit hinsichtlich der Anwendungsmöglichkeiten. Seine unbegrenzten Entwicklungsmöglichkeiten öffnen das Anwendungsspektrum für nahezu jede Branche die Material bezieht und in der Anwendung Wert auf ökologische Aspekte legt. Durch die unverwechselbaren Alleinstellungsmerkmale unseres Nature Tech Materials, darunter etwa sein geringes Gewicht, Licht- und Luftdurchlässigkeit, akustische Eigenschaften, Verformbarkeit – und das ist nur eine Reihe seiner vielfältigen Charakteristik – grenzt sich Karuun stark von anderen (Natur)Materialien ab und wird bereits in diversen Branchen nachgefragt und eingesetzt.
Leichtbauwelt: Können Sie uns dafür ein paar konkrete Beispiele nennen?
Julian Reuter: Im Bereich der zukünftigen Mobilität spielen ganzheitlich nachhaltige Konzepte eine zunehmend wichtige Rolle. Karuun wurde nach Automotive-Standards geprüft und wird serienmäßig eingesetzt. Bei ökologischen Bauprojekten, Innenarchitektur, Möbeln und Objektbau bietet unser Werkstoff eine Reihe neuer Vorteile, wenn es um den effizienten Umgang mit Ressourcen wie Material, Raum und Energie geht. Zudem minimiert unser Nature Tech Material den ökologischen Fußabdruck von Bauprojekten und erzeugt insbesondere durch seine natürliche Anmutung in Formensprache und Materialität Perfektion durch Imperfektion. Die Two-Tone Optik ermöglicht eine vollständig individuelle Produktgestaltung und steht gleichzeitig für eine homogene, ästhetische Struktur. Und in den Bereichen Produktdesign, Konsumgüter, Sportartikel und elektronische Geräte ist es uns ein Anliegen, einen ökologischen und hochwertigen Ersatz für Kunststoff anzubieten, um weniger Plastikmüll in unser Ökosystem gelangen zu lassen. Mit Karuun stellen wir der Industrie ein umweltfreundliches und zugleich faires Nature Tech Material zur Verfügung. Der Werkstoff ist in Design, Farbgebung und Träger- sowie Füllmaterialien variabel und kann deshalb an verschiedene Anforderungen individuell angepasst werden.
„Gemeinsam mit etablierten Partnern und aufstrebenden jungen Unternehmen leiten wir eine regenerative Materialrevolution ein, die im Einklang mit der Natur steht, sie wertschätzt und schützt.“
Leichtbau ist für mich persönlich, …
~… eine tolle Herausforderung, die ihren Ursprung in der Evolution der Natur findet.
Die größte Herausforderung im Leichtbau ist, …
~… Imperfektion zuzulassen.
Der wichtigste Trend im Leichtbau ist, ...
~… aktuell Bionik.
Leichtbauwelt: Wo sehen Sie Ihre Technologie oder Ihr Unternehmen mittelfristig?
Julian Reuter: Mit stetiger Forschung und Entwicklung werden wir das Anwendungsspektrum immer mehr erweitern. Zum Beispiel lassen sich auch natürliche Gerüche, flammhemmende Stoffe, elektroleitfähigen Pasten, fluoreszierenden Farben und viele andere Materialien injizieren, die die Eigenschaften des Werkstoffs beeinflussen und individualisieren. Durch unsere Erfahrung in der Entwicklung mit Karuun kennen wir die spezifischen Herausforderungen und haben ein umfangreiches Knowhow bezüglich der technischen und wirtschaftlichen Anforderungen entwickelt. Dieses Wissen möchten wir mit unseren Kunden teilen und sie dabei begleiten, zukunftsorientierte Produkte und individuelle Lösungen zu entwickeln.
Leichtbauwelt: Gibt es auch Einschränkungen?
Julian Reuter: Sicher gibt es einige Einschränkungen und Bereiche, in denen die Anwendung unserer Idee noch evaluiert werden muss. Herausfordernd sind die Bereiche Erweiterung der Dauerhaftigkeit und der Einsatz im Outdoor-Bereich. Da Rattan und Karuun natürliche Produkte sind, eignen sie sich grundsätzlich wenig für den Einsatz im Freien, ohne eine zusätzliche Oberflächenbehandlung wie Ölen oder Lackieren. Allerdings müssen noch weitere Tests und Evaluierungen durchgeführt werden, um den genauen Nutzen und die Leistungsfähigkeit in Bezug auf Witterungsbeständigkeit und Schutz vor Schimmelpilzwachstum zu bestimmen. Versuche mit Hilfe von Farbstoffen haben gezeigt, dass Flüssigkeiten mit niedriger Viskosität sogar ins Zellgewebe des Rattans eindringen können. Durch unser patentiertes Verfahren können natürliche Essigsäuren homogen über die Leitbündel in das Material eindringen. Dies kann das Schimmelpilzwachstum verhindern oder verlangsamen. Essigsäure und Essig sind seit langem bekannte Schutzmittel gegen Bakterien, Schimmel- sowie Hefepilze und werden häufig in der Lebensmittelindustrie eingesetzt. Unser Ziel ist es, Karuun proof zu entwickeln, ein Produkt mit deutlich erhöhter Witterungsbeständigkeit im Vergleich zum Naturmaterial. Es soll auf die spezifischen Anforderungen des jeweiligen Produktlebens abgestimmt sein. Produkte aus diesem Material könnten dann eine überlegene Beständigkeit gegenüber Pilzen und Insekten aufweisen und umweltschädliche Kunststoffprodukte im Outdoor-Segment ersetzen. Wir arbeiten kontinuierlich daran diese Potenziale weiterzuentwickeln und die Grenzen unserer Idee auszuloten.
Leichtbauwelt: Kennen Sie den CO2-Footprint ihres eigenen Unternehmens?
Julian Reuter: Unser Unternehmen Karuun hat im Geschäftsjahr 2021 erstmals seine Gesamtökobilanz berechnet, unterstützt von ClimatePartner. Dabei wurden der CO2-Fußabdruck im eigenen Geschäftsbetrieb (Scope 1, 2 und 3) sowie das Life Cycle Assessment (LCA) für karuun stripe in Zusammenarbeit mit Sphera erfasst. Aufgrund dieser Bilanzierung dürfen wir uns seit Oktober 2022 bis September 2023 als klimaneutral bezeichnen.
In diesem Rahmen unterstützen wir ein Waldschutzprojekt in Brasilien, das ein einzigartiges Ökosystem, nämlich die „Várzea“ in Pará an der brasilianischen Amazonasmündung, umfasst. Uns ist es ein besonderes Anliegen, uns aktiv für Nachhaltigkeit einzusetzen und wir legen großen Wert darauf, unseren CO2-Fußabdruck zu reduzieren und unsere ökologische Verantwortung wahrzunehmen.
Leichtbauwelt: Welche besonderen, spannenden Herausforderungen haben Sie bisher gemeistert?
Julian Reuter: Beim Aufbau unseres Startups und der Entwicklung einer Materialinnovation für den Markt, insbesondere für die Automobilindustrie, haben wir zahlreiche spannende Herausforderungen erlebt. Hier sind die drei wichtigsten Herausforderungen, die wir meistern mussten:
- Produktentwicklung: Die Entwicklung unseres Produkts stellte sich als umfangreicher, testintensiver und kostspieliger heraus als ursprünglich gedacht. Es erforderte intensive Forschung und Entwicklung, um die gewünschten Eigenschaften und Qualitätsstandards zu erreichen.
- Aufbau der Lieferkette: Wir mussten eine nachhaltige Lieferkette etablieren, beginnend mit der Anpflanzung, Ernte und Weiterverarbeitung von Rattan. Dies beinhaltete die Entwicklung von Produktionsprozessen, Werkzeugen und Maschinen sowie den Technologietransfer nach Indonesien, wo wir mit unterschiedlichen Bedingungen konfrontiert wurden.
- Finanzierung: Die verschiedenen Finanzierungsphasen waren eine herausfordernde Zeit für unser Team und unser Produkt. Wir wurden immer wieder auf Herz und Nieren geprüft und mussten uns mit den Anforderungen potenzieller Investoren auseinandersetzen. Letztendlich hat dieser Stress-Test unser Team gestärkt und wir konnten großartige neue Gesellschafter gewinnen.
Diese Herausforderungen haben uns wertvolle Erfahrungen und Erkenntnisse gebracht. Wir sind stolz darauf, wie wir sie gemeistert haben und wie sie uns sowohl persönlich als auch in Bezug auf die Weiterentwicklung unserer Idee bereichert haben.
Leichtbau ist eine Schlüsseltechnologie für den Klimaschutz …
~…nicht eine, sondern eine von vielen.
Leichtbau und Mobilität …
~… ein undankbares Diskussionsthema für SUV-Fahrer.
Leichtbau und Bauwesen …
~… wird neue Wohnkonzepte zulassen.
Dieses Interview für Leichtbauwelt ist mir wichtig …
~… als Erinnerung, dass wir als out for space nie auslernen werden.
Die Informationsplattform Leichtbauwelt bietet Inspiration, …
~… für Ingenieure, Designer, Forscher und andere Fachleute.
Leichtbauwelt: Welchen Herausforderungen begegnen Sie im „Leichtbau-Alltag“?
Julian Reuter: Unsere größte Herausforderung liegt in der Einzigartigkeit und Neuheit des Materials selbst. Als neuartige Materiallösung erfordert es von unseren Kunden die Bereitschaft, neue Wege zu gehen und Pionierarbeit zu leisten. Bisher wurden diese Bemühungen stets belohnt. Wir wurden oft selbst überrascht von der Vielseitigkeit, mit der der Werkstoff eingesetzt werden kann, und freuen uns jedes Mal mit unseren Kunden und Partnern, wenn wir Karuun in einem neuen Anwendungsbereich sehen.
Leichtbauwelt: An welchen Hindernissen sind Sie in den letzten Jahren gewachsen?
Julian Reuter: Wie für viele Unternehmen in der Startup-Phase war die Pandemie für uns ein bedeutender Meilenstein, der glücklicherweise positiv verlief. Plötzlich erlebten wir eine spürbare Veränderung in der Industrie, ein erhöhtes Bewusstsein für wichtige Werte wie Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit entlang unserer Lieferkette, die das Herzstück unseres Materials bildet. In dieser Zeit erhielten wir unseren ersten bedeutenden Auftrag und konnten gemeinsam mit unseren Produktionspartnern die Lieferkette so skalieren, dass wir nun in der Lage sind, internationale Projekte zu realisieren und langfristige Kundenbeziehungen aufzubauen. Diese Phase war für uns ein entscheidender Schritt nach vorn und hat uns dabei geholfen über uns selbst hinauszuwachsen.
Leichtbauwelt: Welche drei wichtigsten Tipps würden Sie all denjenigen mitgeben, die gründen wollen?
Julian Reuter:
- Tipp 1: Verbinde dein Vorhaben mit etwas, das dir Freude bereitet und dich erfüllt. Dies wird dir immer einen Ansporn geben, neugierig zu bleiben und weiterzumachen, selbst wenn es manchmal aussichtslos erscheint.
- Tipp 2: Ausrichtung deiner Idee darauf, der Natur und den Menschen etwas zurückzugeben. Was früher als wirtschaftlicher Nachteil galt, ist heute (bedingt durch ein gesellschaftliches Umdenken) ein Vorteil. Viele etablierte Unternehmen werden den Wandel und die Anforderungen einer Bioökonomie nicht bewältigen können. Hier haben Startups klar die Oberhand.
- Tipp 3:Habe keine Angst davor, 100 Prozent zu geben und auch zu scheitern. Ich weiß, das mag banal klingen, aber dahinter verbergen sich die größten Werte, die du als Unternehmer für dich gewinnen kannst.
Leichtbauwelt: Welche Leichtbau-Innovation, welches Projekt oder Forschungsergebnis hat Sie in der letzten Zeit besonders fasziniert?
Julian Reuter: Was mich in letzter Zeit besonders fasziniert hat, ist der Fortschritt in der Forschung im Bereich der Gravitationstheorie. Es ist faszinierend zu sehen, wie neue Erkenntnisse in der Teilchenphysik zu einem erweiterten Verständnis der Gravitation führen könnten. Wer weiß, vielleicht werden diese Erkenntnisse unsere derzeitigen Vorstellungen herausfordern. Oder sie führen gar zu revolutionären Entwicklungen, die den Leichtbau möglicherweise überflüssig machen könnten.
Leichtbauwelt: Welche Branchen oder Trends treiben Ihrer Erfahrung nach die Entwicklungen im Leichtbau voran?
Julian Reuter: Aus der Sicht eines Produktdesigners sind es meines Erachtens vor allem zwei Branchen und Trends, die die Entwicklungen im Leichtbau maßgeblich vorantreiben: die Bionik und der 3D-Druck. Der Trend zur Bionik umfasst die Inspiration und Orientierung an Lösungen, die die Natur bereits perfektioniert hat. Die Faszination für die vielfältigen und effizienten Strukturen in der Natur hat dazu geführt, dass immer mehr Leichtbaukonzepte auf biologischen Vorbildern basieren. Diese Verbindung von Technologie und Natur eröffnet spannende Möglichkeiten für nachhaltige und effiziente Leichtbaulösungen. Zum anderen spielt die disruptive Technologie des 3D-Drucks eine entscheidende Rolle. Mit dem 3D-Druck können komplexe Geometrien und maßgeschneiderte Bauteile hergestellt werden, die eine optimale Gewichtsreduktion ermöglichen. Dadurch eröffnen sich neue Perspektiven für den Leichtbau in verschiedenen Branchen, von der Luft- und Raumfahrt über die Automobilindustrie bis hin zur Medizintechnik. Der 3D-Druck ermöglicht es, innovative Designs umzusetzen und Bauteile gezielt zu optimieren, was eine effiziente Nutzung von Materialien und eine Gewichtsreduktion ermöglicht.
Leichtbauwelt: Sehen Sie eine Konkurrenz der Werkstoffklassen um das „Beste Leichtbaumaterial“?
Julian Reuter: Ein gesunder Wettbewerb ist wichtig, um kontinuierliche Fortschritte im Leichtbau zu erzielen und das beste Leichtbaumaterial stetig und zeitgemäß zu definieren. Der Einsatz von Kunststoff war häufig eine Entscheidung aus Kostengründen und nicht unbedingt die optimale Wahl für das Produkt und seinen gesamten Lebenszyklus. Es ist jedoch notwendig und absehbar, dass sich diese Situation ändern wird. Kunststoff ist ein hochentwickelter, leichter Werkstoff, der in vielen Produkten verwendet wird. Zukünftig sollte die Auswahl jedoch basierend auf den besten Eigenschaften für das jeweilige Produkt und seinen Einsatz erfolgen. Das gilt für alle Materialien und Leichtbaukonzepte.
Leichtbauwelt: Lassen Sie uns ein bisschen träumen: Wenn Sie einen Wunsch für den Leichtbau und / oder ihr Unternehmen frei hätten, was würden Sie sich wünschen?
Julian Reuter: Ich würde mir wünschen, Karuun als Konstruktionsmaterial in einer Raumrakete im All zu sehen und den Namen unserer Firma „out for space“ zu verwirklichen. Denn wer sagt, dass nicht auch eine Rattan-Palme bis zu den Sternen reichen kann?
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