Für ein Urwahn Bike vereinen sich Stahl als Werkstoff mit hoher spezifischer Dichte, eine moderne Fertigungsmethode und der Anspruch „Made in Germany“ zu einem leichten, nachhaltigen Produkt, das 2022 einen der Design-Awards beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis abgeräumt hat. Ramon Thomas, einer der beiden Gründer, erklärt im Interview, warum man auf die Idee kommt, einen Fahrradrahmen aus Stahl additiv zu fertigen – und was Technologie, Werkstoff und Design zusammen bewirken können.
Im Leichtbau sind branchen- und werkstoffübergreifende Impulse und neue Inspirationen für kreative, technologische Lösungen äußerst wertvoll. In der Serie „Pioniere der Leichtbauwelt“ kommen deshalb Gründer und Start-ups zu Wort. Hier haben sie die Möglichkeit, ihre Technologie, ihre Ideen und Visionen vorzustellen. Wenn sich so neue Partnerschaften über Unternehmens- und Branchengrenzen hinweg ergeben, dann haben wir bei Leichtbau(welt) unser Ziel erreicht: Inspiration für ihren Fortschritt.
Leichtbauwelt: Ramon, was hat Euer Fahrradrahmen mit Leichtbau zu tun – und warum verwendet Ihr Stahl und nicht die eigentlich leichteren Werkstoffe Aluminium oder Carbon – kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe?
Ramon Thomas: Man könnte meinen, dass Aluminium und Carbon den Werkstoff Stahl im Leichtbau obsolet gemacht hätten, doch das ist ein absoluter Irrglaube. Wir beweisen mit unserem Urwahn Bike, dass Stahl robust, langlebig und auch leicht ist. Unser Modell Stadtfuchs beispielsweise bringt gerade mal zwölf Kilogramm auf die Waage.
Überdies begünstigt die Verwendung des ursprünglichen Werkstoffs Stahl die Materialrückführung. Im Vergleich zu Carbon und Aluminium lässt sich Stahl deutlich besser verarbeiten, reparieren und wiederverwerten. Begleitet von kurzen Produktions- und Logistikwegen, können wir zudem so auch den CO2-Ausstoß zu Gunsten unserer Umwelt drastisch reduzieren. In einer wissenschaftlichen Untersuchung des Fahrradfachmagazins Velobiz (Ausgabe 08/2019) konnte festgestellt werden, dass ein Stahlrahmen bei der Herstellung nur 20 Prozent der Energiemenge benötigt, die bei der Herstellung eines Carbonrahmens verwendet werden. Zusätzlich ist die Materialausnutzung für die Herstellung eines Stahlrahmens mehr als doppelt so hoch wie bei einem Aluminiumrahmens. Auch in puncto Wasserverbrauch und Beitrag zur Erderwärmung liegt der Stahlrahmen deutlich vor Aluminium- und Carbonrahmen. Der Stahlrahmen überzeugt also beim Thema Nachhaltigkeit, Umweltfreundlichkeit und Recyclebarkeit klar gegenüber seinen Konkurrenten Aluminium und Carbon.
Bild oben: Die Gründer von Urwahn Engineering: (v.l.) Sebastian Meinecke und Ramon Thomas (Quelle: Urwahn)
Leichtbauwelt: Aber wie erreicht Ihr dann mit einem doch eher „schweren“ Werkstoff das geringe Gewicht?
Ramon Thomas: Unter anderem verzichten wir auf das Sitzrohr das Rahmens. Außerdem konnten wir die Wandstärke der Verbindungselemente bis auf 0,9 mm reduzieren. In den Bereichen, wo es für die Stabilität notwendig ist, sind die Wandstärken dicker, um beispielsweise die Lenkkopfsteifigkeit oder Tretlagersteifigkeit garantieren zu können. Auch die funktionale Integrationstiefe begrenzt die Möglichkeit der Wandstärkenreduzierung in gewissen Bereichen. Dennoch sind wir rechnerunterstützt bestrebt die Wandstärken serienbegleitend noch weiter zu reduzieren.
Leichtbauwelt: Wie kommt man auf die Idee, die Rohrgeometrie eines Fahrradrahmens aus Stahl ausgerechnet additiv zu fertigen?
Ramon Thomas: Von Anfang an war es uns wichtig, nachhaltige und funktionale Materialien in der Produktion zu verwenden. Wir wollten in Deutschland im 3D-Druck produzieren und nach unserer Auffassung ist dies in Kombination mit dem Rohstoff Stahl die beste und nachhaltigste Lösung. Unsere Motive waren hier nicht nur der Schutz unserer Umwelt, sondern auch die Flexibilität und Elastizität unseres Rahmens. Die Rahmen aller unserer Bikes bestehen zu 100 Prozent aus Stahl und werden in Deutschland im 3D-Druck hergestellt. Als Rohstoff verwenden wir ein spezielles Metallpulver, das für ein langlebiges Produkt sorgt. Und diesen Rohstoff können wir dank additiver Fertigung auch sehr effizient einsetzen.
Leichtbauwelt: Erzählst Du uns, wie die Idee dazu entstanden ist?
Ramon Thomas: Als leidenschaftlicher Produktentwickler und Ingenieur für Sportgeräte galt das Interesse meine Mitgründers Sebastian Meinecke schon 2011 den puristischen Fahrrädern. Unter dem Namen „Sme Bicycles“ hatte er schon damals einige, höchst individuelle Auftragsfahrräder angefertigt. Mit zunehmender Erfahrung und der Spezialisierung auf die Produktentwicklung entwickelte er ein neuartiges Bike für den Einsatz im urbanen Bereich, das bisherige Anforderungen durch das Zusammenspiel von Form, Funktion, Komfort und Nachhaltigkeit ganzheitlich in einer bis nie dagewesenen Komplexität erfüllen sollte. Mit dieser Vision stieß Sebastian allerdings schnell an die Grenzen des Machbaren. Als einer der ersten Nutzer des damals neu entstandenen FabLabs (Fabrication Laboratoy) für kunststoffbasierten 3D-Druck begann die anfängliche Vision greifbarer zu werden. Fragen wie, „Welche Freiheiten und Innovationspotentiale bringt ein ganzheitlich oder teilweise im 3D-Druck gefertigter Rahmen mit sich?“, beschäftigten Sebastian zunehmend.
2013 brachte Sebastian das Urwahn Bike schließlich ins Rollen. Das Bike wurde im Rahmen seiner eigenen Masterarbeit an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg in die Entwicklung überführt. Durch Integrated Design Engineering (IDE) mit dem Ziel der additiven Fertigung entwickelte er den Stahlrahmen als Herzstück eines jeden unserer Bikes. Mit Erfolg, denn nicht nur das interdisziplinäre Vorgehensmodell hielt Einzug in die Infrastrukturen unseres Unternehmens, auch der 3D-Druck gehört deshalb von Anfang an zu unserer Fertigungstechnologie.
Leichtbauwelt: Warum ist der 3D-Druck für Eure Idee so wichtig?
Ramon Thomas: Das additive Fertigungsverfahren ist der Prozessschritt, der uns vom konventionellen Rahmenbau unterscheidet. Der 3D-Druck ermöglicht es uns, die Bauteile im Sinne des Lean Manufacturings fertigungsgerecht auszulegen. Dadurch können alle nachgelagerten Prozesse effizienter werden. Die organische Form der Rahmen erreichen wir durch Schweißen und weitere Fügeprozesse. Filigran gezogene Rohrprofile bilden das Grundgerüst unseres Stahlrahmens.
Leichtbauwelt: Einer der Vorteile beim 3D-Druck ist die Designfreiheit. Inwiefern war das für Euch in der Rahmenfertigung besonders interessant?
Ramon Thomas: Klar liegen die Vorteile in den flexiblen Möglichkeiten für Gestaltung und Dimensionierung hochkomplexer Bauteile – allen voran das organische Rahmendesign. Solche dünnwandigen und hochkomplexen Rahmenteile zu fertigen, wurde durch den 3D-Druck überhaupt erst möglich. Ohne dieses Fertigungsverfahren gäbe es keine Softride-Geometrie mit dämpfenden Fahreigenschaften und keine nahtlos-organische Formsprache. Die Beugung im Rahmen ist dabei nicht nur optisch ansprechend, sondern generiert ein völlig neues und komfortables Fahrerlebnis. Außerdem können Verkabelung und Sattelklemme dezent im Rahmen verschwinden.
Als Start-up konnten wir außerdem sofort mit der Fertigung beginnen, da im 3D-Druck keine teuren Fertigungswerkzeuge notwendig sind. Und wir können schnelle Änderungen der Bauteilgeometrien von Batch zu Batch umsetzen, was auch Einzel- und Maßanfertigungen in Zukunft möglich machen kann. Durch den 3D-Drucks war das Anpassen von unserem ersten Modell Stadtfuchs Urban Bike hin zum Platzhirsch E-Bike wesentlich einfacher und schneller umsetzbar. In zukünftigen Entwicklungen profitieren wir durch das Fertigungsverfahren stark von schnelleren Entwicklungszyklen.
Leichtbauwelt: Worin seht Ihr den größten Nutzen für Eure Kunden?
Ramon Thomas: Wir sind selbst leidenschaftliche Radfahrer und deshalb stets auf der Suche nach den perfekten Mobilitätslösungen. Verbesserungsbedarf gibt es an vielen Stellen. Aktuell werden Funktionen oftmals der Form untergeordnet, wodurch essenzielle Bedürfnisse des Nutzers in puncto Handhabung, Komfort und Sicherheit unberücksichtigt bleiben. Ein Großteil der Hersteller produziert zudem global in Massen zu Lasten der Qualität sowie ohne Rücksicht auf Umwelt und Arbeitsbedingungen. Ein Wandel in der Fortbewegung muss her.
„Massenproduktion ohne Rücksicht auf Qualität, Umwelt und Arbeitsbedingungen kann nicht die Lösung für den Mobilitätswandel sein.“
Leichtbauwelt: Woher kommt der Name für Euer Unternehmen?
Ramon Thomas: Wir sind ein verrücktes Team, brechen bewusst mit Traditionen und denken außerhalb des Rahmens. Der Name „Urwahn“ setzt sich aus den Begriffen URban und WAHNsinnig zusammen, denn wir sind wahnsinnig genug, neue Ideen anzugehen und neue Wege im urbanen Gefilde zu beschreiten.
Leichtbau ist für mich persönlich …
~… der Game Changer, denn neue Methoden, Prozesse und Materialien im Leichtbau schaffen mehrwertige Produkte mit hohem Kundennutzen.
Die größte Herausforderung im Leichtbau ist, …
~… Produkte durch Mischbauweisen und Verbundwerkstoffen nicht nur leichter, sondern auch stabiler, steifer und sicherer zu fertigen.
Leichtbauwelt: Wie seid Ihr als Start-up aufgestellt?
Ramon Thomas: Mit einer interdisziplinären Zusammensetzung aus Designjunkies, CAD-Jongleuren, Markenvirtuosen, Kundenmagneten, Rechenschiebern & Code-Liebhabern ist uns eine Symbiose aus vielfältigen Kompetenzen gelungen, die sich gegenseitig respektieren und schätzen. Beflügelt von flachen Hierarchien und transparenten Arbeitsstrukturen haben wir eine Atmosphäre von Kreativität und Innovationspotenzial geschaffen. Der Einsatz unkonventioneller Methoden und Technologien gehört zu unserem täglichen Geschäft! Dieser Gestaltungsdrang spiegelt sich in den organischen Formen, dezenten Farben und durchdachten Funktionen unserer Produkte wider. Wir streben nach Perfektion und leben die Schönheit und Einfachheit bis in das kleinste Detail.
Leichtbauwelt: Verrätst Du, welche weiteren Entwicklungen geplant sind?
Ramon Thomas: Mit großer Leidenschaft, Perfektion und großem Engagement treiben wir Produktverbesserung, Gewichtsreduktion oder Verbesserung der Festigkeit voran. Auch mit Blick auf den verwendeten Werkstoff für unsere Rahmen arbeiten wir an Alternativen, die zusätzlich leichter und flexibler sind. Dieses Jahr – so viel kann ich schon verraten – werden wir uns dem Road-Bereich widmen und für noch mehr Tempo im Sattel sorgen.
Leichtbauwelt: Du hast vorhin davon gesprochen, dass eine Eurer Motivationen der Umweltschutz ist. Welchen konkreten Beitrag leistet Ihr zum Klimaschutz?
Ramon Thomas: In Kombination mit dem metallischen 3D-Druck ist es uns gelungen, die Produktion der Rahmen regional und bedarfsgerecht auszurichten. Nach den Prinzipien des Lean Manufacturings konnten die Produktionsprozesse so weit verschlankt werden, dass jeder Auftrag „on-demand“ und „just-in-time“ ohne Einbußen an Qualität und Individualisierung abgewickelt werden kann. Eine Überproduktion ist hierbei Fehlanzeige und auch die Lager sind bei Urwahn ungewöhnlich zurückhaltend gefüllt.
Leichtbauwelt: Wie nachhaltig agiert ihr selbst als Unternehmer?
Ramon Thomas: Zum einen legen wir Wert darauf, dass der Fahrradrahmen in Deutschland produziert wird. Zum anderen achten wir auch bei den weiteren Komponenten darauf, dass diese nicht einmal um die Welt reisen. Wir haben es geschafft unsere Lieferkette so kurz zu halten, dass rund 90 Prozent aller Komponenten unserer Bikes aus Deutschland – hier etwa 75 Prozent – und Europa kommen. Wir legen beispielsweise auch die Standorte der einzelnen Stationen unserer Produktionskette offen, in der die Stahlrahmen sowie die montierten Bikes entstehen:
- Hannover/Düsseldorf = Rohrstellung und – zuschnitt
- Dresden und Magdeburg = 3D-Druck und Rahmenbau
- Hannover = Beschichtung
- Waltrop = Zertifizierung
- Magdeburg = Endmontage und Logistik
Leichtbauwelt: An welchen Hindernissen seid Ihr in den letzten Jahren gewachsen? Gab es dabei ein besonderes Ereignis, eine wichtige Phase?
Ramon Thomas: Die größte Herausforderung betrifft nach wie vor bürokratischen Hürden, die eine Entwicklung oftmals ausbremsen oder gar zum Stillstand bringen. Hier ist eine Menge Geduld und Durchhaltevermögen gefragt, die bei vielen potentiellen Gründern dazu führt, dass ihnen bereits frühzeitig die Puste ausgeht. Außerdem ist eine Idee nur so gut wie das Team. Daher stellte das Aufstellen des Kernteams eine weitere Hürde dar, weil man in zeitintensiven Bewerbungsgesprächen die Spreu vom Weizen trennen muss, ohne Gewissheit zu haben die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Die letzte große Herausforderung ist das finanzielle Grundgerüst, ohne das die Idee weder vorangetrieben noch das Team für harte Arbeit entlohnt werden kann. Zusammenfassend würde ich sagen, dass man wachsam die Augen und Ohren offenhalten sollte, um neue Möglichkeiten ausfindig zu machen, die eine Finanzierung, die Rekrutierung neuer Teammitglieder und/oder gar die Erschließung neuen Märkten begünstigen.
Leichtbau und Mobilität, …
~… muss man zusammen denken, denn der Leichtbau ist die Schlüsseltechnologie für die Fortbewegung von morgen.
Leichtbau ist eine Schlüsseltechnologie für den Klimaschutz, weil …
~… es wichtig ist konventionelle Methoden der Fertigung zu hinterfragen und Produkte völlig neu zu denken.
Die Informationsplattform Leichtbauwelt bietet Inspiration, weil …
~… regelmäßig Neuheiten und Informationen über die Entwicklungen am Markt und in der Forschung kommuniziert werden.
Leichtbauwelt: Das klingt schon fast nach Gründer-Coaching. Welche drei wichtigsten Tipps würdest Du auf Punkt gebracht demnach all denjenigen mitgeben, die gründen wollen?
Ramon Thomas: Immer einen Plan B, C und D bereithalten. Das gilt vor allem für Finanzierungsmodelle. Man sollte stets Privates vom Beruflichen trennen. Freunde mit ins Boot zu holen, kann oftmals nicht der beste Schachzug sein. Das Gründerteam sollte nicht über deckungsgleiche Kompetenzbereiche verfügen. Viele Köche verderben den Brei. Es gibt immer Kritiker, die einen theoretische Vorgehensmodelle aufdrücken wollen, die in der weiteren Umsetzung oftmals den Bezug zur Realität verlieren. Man sollte sich daher an gründungserfahrene Kompetenzen heften, die einem mit konstruktivem Feedback und realen Problemstellungen wieder auf Kurs bringen.
Leichtbauwelt: Hatten die vergangenen Krisen – wie die Corona-Pandemie – Auswirkungen auf Euren Start?
Ramon Thomas: Im Zuge der Corona-Pandemie haben sich Kundenverhalten, Lieferketten und Vertriebskanäle grundlegend verändert. Die Pandemie hat allen gezeigt, wie wichtig agile Arbeitsmethoden und eine regional verankerte Wertschöpfungskette sind. Im Nachhinein betrachtet, haben wir unsere Hausaufgaben in dieser Hinsicht viel früher gemacht und konnten uns besser auf die Pandemie einstellen.
Zum Beispiel hat sich die Mobilität der Deutschen dramatisch verändert und der Trend zum Fahrradfahren hat deutlich zugenommen. Wir konnten mit der hohen Nachfrage Schritt halten, weil wir durch die regionale Verankerung unserer Produktion weniger abhängig von Lieferungen aus dem Ausland sind.
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