Leichtbau: Vom Ziel zur Voraussetzung |
Die VDI-Tagung PIAE 2018 – vormals KIA – hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die 1.400 Fachbesucher in die Zukunft des Automobilbaus reisen zu lassen. Diese Zukunft sei, so die Veranstalter, ohne Leichtbau – und damit ohne Kunststoff nicht denkbar. Beispielhaft dafür stand das smarte VW Future Interior Concept direkt im Eingangsbereich (siehe Bild oben).
Wie beim Smartphone bedeutet das: Je mehr Funktionen und Fähigkeiten ins Auto integriert werden, umso schwerer wird das technische Spielzeug. Um es alltagstauglich und handhabbar zu machen, müssen die Hersteller das Produkt zwangsläufig erleichtern – im doppelten Wortsinn.
Konstruktiv ist das schon aus Gründen der Energie- und Materialeffizienz notwendig. Nicht vergessen darf man aber, dass diese ingenieurtechnischen Kunstwerke, diese durchdachten Leichtbau-Konzepte in der Serie auch bezahlbar bleiben müssen. Denn was nützt die schönste Technik, wenn sie sich niemand leisten kann?
Wer wüsste das besser als Thomas Drescher, Leiter des Bereichs Fahrzeugtechnik der Volkswagen AG und neuer Tagungsleiter der PIAE. Nein, einen Siegeszug eines Modells, einen Volkswagen – wie den Käfer – wird es nicht mehr geben: zu unterschiedlich sind die Anforderungen an die individuellen Mobilitätskonzepte. Zu unterschiedlich auch die Anforderungen der Verbraucher. Diese reichen zukünftig, so erklärt Drescher, vom Car-Sharing bis hin zur vollständig autonom fahrenden Fahrgastzelle.
Individuelle Mobilität verlangt individuelle Materialkonzepte
Nur „leichter“ alleine reicht damit nicht mehr aus. Gewichtseinsparung nur zum Zweck der Nachhaltigkeit ist out. Der Leichtbau wird Bestandteil einer ganzheitlichen Betrachtung (Purpose-Design) bei der Produktentwicklung im Automobilbau. Das betrifft den Werkstoff, an den zunehmend neue Ansprüche – wie die Recyclingfähigkeit – gestellt werden. Das betrifft aber auch den Einsatz von Leichtbau an sich.
Es geht darum, abzuwägen, welchen Zweck der Leichtbau in den unterschiedlichen Mobilitätskonzepten erfüllen soll. Die Ziele reichen dabei von fahrdynamischen Aspekten über das Reduzieren der CO2-Emissionen bis hin zum Leichtbau als schiere Notwendigkeit aufgrund begrenzter Achslasten zum Ausgleich der zunehmenden smarten Funktionen unserer fahrbaren Untersätze.
Dem Materialmix gehört die Zukunft
Hybride Bauteile werden an Bedeutung gewinnen, so Drescher, denn sie vereinen die Vorteile verschiedener Welten. Bei der Kombination von Stahl, Aluminium, Kunststoffen und Fasern können die Vorteile der Werkstoffe kombiniert werden. Und darüber hinaus ermöglicht das Vereinen umformender und formgebender Prozesse komplexere Strukturen – und öffnet so nicht nur dem werkstofflichen, sondern auch dem konstruktiven Leichtbau Tür und Tor.
„Unter dem Aspekt ‚der richtige Werkstoff an der richtigen Stelle‘ bieten Metall-Kunststoff Hybride ein hohes Potenzial hinsichtlich bezahlbarem Leichtbau in Verbindung mit Funktionsintegration.“
(Jochim Melzig, Leiter Vorentwicklung Interieur Hausfertigung, BMW Group)
Bedeutendste Herausforderung ist noch immer die Großserientauglichkeit
„Ziel muss es sein, neue hybride Werkstoffkombinationen und Prozesstechnologien zu entwickeln, die die Grundlage für eine innovative, wirtschaftliche und großserienfähige Herstellung von funktionsorientierten Leichtbaukomponenten für den Fahrzeugbau darstellen.“
(Jens-Jürgen Härtel, 2. Vorstandsvorsitzender der Open Hybrid Lab Factory e.V. in Wolfsburg)
Das betonte Härtel auf der diesjährigen Tagung. Aber im Grund ist das eine Zusammenfassung der Forschungs- und Entwicklungsziele im Leichtbau. All das hat schon seit Jahren Gültigkeit.
Der Leichtbau lebt – im Automobilbau offensichtlich heute mehr denn je – von der geschickten Kombination unterschiedlicher Werkstoffe. Zielgerichtet eingesetzt an der richtigen Stelle. Aber er ist nur dann wirtschaftlich sinnvoll und für Serienfahrzeuge in der Fläche einsetzbar, wenn es gelingt in kürzerer Zeit großserientaugliche Prozesse zu entwickeln. Diese Entwicklungsschritte nehmen – Stand heute – noch zu viel Zeit in Anspruch.
Zum Beschleunigen der so wichtigen Time-to-Market schließen sich vielerorts Industrie und Forschung zu Projekten oder Forschungsverbünden zusammen: Die Open Hybrid Lab Factory in Wolfsburg ist ein Beispiel, die Plattform Forel (Fokus Elektromobilität) ein anderes. Dort wurde auch das Projekt Q-Pro durch ein interdisziplinäres Team aus Industrie und Wissenschaft bearbeitet. Beteiligt sind hier federführend die Porsche AG und das Institut für Leichtbau und Kunststofftechnik ILK Dresden.
Ein Ergebnis aus diesem Projekt zeigt, was mit Multimaterial-Leichtbau möglich ist: eine Leichtbau-A-Säule in 3D-Hybrid-Bauweise, einer Verbindung aus hochfestem Stahl, endlosfaserverstärktem Thermoplast und faserverstärkter Thermoplast-Rippenstruktur. Das besondere hier ist, dass das Bauteil in einem vollständig automatisierten und qualitätsüberwachten Fertigungsprozess hergestellt wird.
„Die im Projekt Q-Pro entwickelten Methoden erlauben eine frühzeitige Analyse und Bestimmung der signifikanten Prozess- und Qualitätsparameter, wodurch eine wesentliche Grundlage für eine effiziente Prozessentwicklung geschaffen wird.“
(Prof. Dr. Niels Modler, Professor für funktionsintegrativen Leichtbau, Mitglied des Vorstands am Institut für Leichtbau und Kunststofftechnik ILK der TU Dresden)
Fazit zur Tagung PIAE
Das Konzept der Tagung selbst ist nach meiner Beobachtung aufgegangen. Die Aussteller waren mehrheitlich zufrieden, die Gespräche fachkompetent und zielgerichtet. Und auch die Fachbesucher nutzten die vermehrten Angebote zum persönlichen Netzwerken intensiv, die Vorträge waren meist gut besucht.
Genau das ist es, was der Leichtbau benötigt – nicht nur in der Automobil-Industrie. Die vorgestellten Projekte, die ausgestellten Entwicklungen lassen nur einen Schluss zu: Ohne interdisziplinären Austausch, ohne Wissenstransfer, ohne den berühmten Blick über den Tellerrand ist die Fortentwicklung des Leichtbaus nicht denkbar.
Autor: Christine Koblmiller, Redakteurin, Gründerin, Fachjournalistin aus Leidenschaft
Mit dem Metamagazin Leichtbauwelt.de hat sie 2018 den Schritt in die Selbständigkeit gewagt und mit Leichtbauwelt ein neues Medienformat geschaffen, das sie zum Erfolg führen wird.
Christine Koblmiller ist seit 1995 Redakteurin für technische B2B-Fachzeitschriften (Chemie Technik, Plastverarbeiter, neue verpackung). Für diese Fachmagazine des Hüthig-Verlages sowie Objekte des Verlags moderne industrie hat sie als eBusiness-Projektmanager den Online-Bereich maßgeblich mitgestaltet und schon im Jahr 2001 crossmediale Angebote eingeführt. Mehr über Christine Koblmiller unter Conkomm, auf Xing oder LinkedIn.
„Leichtbau fasziniert und begeistert Techniker. Ich bin überzeugt davon, dass der Markt für ein Angebot wie Leichtbauwelt.de reif ist.“