Naturfaserverstärkte Kunststoffe sind Materialien, denen seit Jahren ein großes Potenzial nachgesagt wird. In technischen Serien-Bauteilen konnten sie sich bisher jedoch nicht großflächig durchsetzen. Ihr Anteil an den Faserverstärkten Kunststoffen beträgt in Europa etwa drei bis vier Prozent. Eine Theorie ist, das liege an ihren schwer beherrschbaren veränderlichen Eigenschaften, die sie als natürliches Material mitbringen. Trotzdem steckt gerade in diesen biobasierten Werkstoffe eine Chance zum Senken des CO2-Footprints unterschiedlicher Produkte. Wir sehen uns diese Materialgruppe genauer an.
In der Artikelserie „Werkstoffe der Leichtbauwelt“ stellen wir die im Leichtbau verwendeten Werkstoffe vor, beschreiben ihre Eigenschaften und Anwendungen, ihre Verfügbarkeit und Verbreitung. Wir schauen uns in verschiedenen Beiträgen an, wie sie verarbeitet werden können und was sie für den Leichtbau auszeichnet – aber auch welche Nachteile mit ihrem Einsatz verbunden sind. Ebenso wollen wir ihr Potenzial für die Zukunft, ihren CO2-Footprint und die Recyclingfähigkeit bewerten.
1. Was genau sind naturfaserverstärkte Kunststoffe?
Ähnlich wie bei den faserverstärkten Kunststoffen kann es auch bei naturfaserverstärkten Kunststoffen zu Begriffsverwirrungen mit Bio-„Composites“ kommen. Biocomposites sind Verbundwerkstoffe mit mindestens einer nachwachsenden Komponente – und daher zählen beispielsweise auch Verbunde aus synthetischen Fasern und Biopolymeren zu Biocomposites. Meist jedoch enthalten Biocomposites auch Naturfasern als Verstärkung.
Auch bei den naturfaserverstärkten Kunststoffen grundsätzlich duroplastische und thermoplastische Matrixwerkstoffe, ebenso kann unterschieden werden in biobasierte und nichtbiobasierte Matrixmaterialien.
2. Welche besonderen Eigenschaften haben naturfaserverstärkte Kunststoffe?
Aufgrund der Naturfasern haben naturfaserverstärkte Kunststoffe (NFK) verglichen mit glasfaserverstärkten oder carbonfaserverstärkten Kunststoffen einige besondere Merkmale, aber auch ähnliche Eigenschaften.
- Nachhaltigkeit: Naturfasern sind erneuerbare Ressourcen und haben in der Regel eine geringere CO2-Bilanz als synthetische Fasern. Sie tragen deshalb ihren Teil zur Verminderung des CO2-Footprints von Produkten bei.
- Gewicht: Naturfasern sind in der Regel leichter als Glasfasern oder Kohlenstofffasern. Hanffasern wiegen etwa 1,5 g/cm3, Carbonfasern 1,75 g/cm3 und Glasfasern 2,55 g/cm3.
- Vibrationsdämpfung: Naturfasern zeigen eine bessere Fähigkeit zur Schwingungsdämpfung im Vergleich zu Glas- oder Kohlenstofffasern, was sie für Anwendungen in strukturmechanisch beanspruchten Bauteilen etwas besser geeignet erscheinen lässt.
- Isolationswirkung: Ihre natürlichen Isolationseigenschaften können die Wärme- und Schallübertragung durch das Material reduzieren.
- Abrasion: Naturfasern sind oft weniger abrasiv als Glas- oder Kohlenstofffasern. Das kann ihre Verarbeitung erleichtern, da Werkzeuge eine längere Lebensdauer haben.

Wie bei allen Faserverbundwerkstoffen können die spezifischen Eigenschaften des Leichtbau-Werkstoffs NFK beim Herstellen durch die Auswahl des geeigneten Faser- und Matrixwerkstoffs, durch die Faserlänge, die Faserrichtung und den Faservolumenanteil beeinflusst werden.
3. Welche Naturfasern werden zur Verstärkung verwendet?
Hierzulande werden vor allem Flachs- und Hanffasern verwendet, weil beide Pflanzen in Europa heimisch sind – und bereits seit Jahrtausenden genutzt werden. Geeignet sind darüber hinaus auch Jutefasern, Holz- beziehungsweise Cellulosefasern oder Baumwollfasern.
Flachsfasern besitzen eine hohe Festigkeit aus und sind in verschiedenen Längen erhältlich. Kurze Flachsfasern (ca. 10-20 mm) werden oft für Spritzgussanwendungen verwendet.
Gemeiner Lein, auch Saat-Lein, Haarlinse oder Flachs genannt, ist eine alte Kulturpflanze, die zur Faser- (Faserlein) und zur Ölgewinnung angebaut wird. Es handelt sich um eine einjährige Pflanze, die eine Höhe von 20 bis 100 Zentimetern erreicht. In die Rindenschicht der einzel stehenden Stängel sind 20 bis 50 Bastfaserbündel als Festigungsgewebe eingebettet. Die Länge einer Elementarfaser beträgt im Durchschnitt 2,5 bis sechs Zentimeter, in den oberen Stängelteilen kann sie auch acht bis zehn Zentimeter erreichen. Der Fasergehalt des Stängels beträgt 19 bis 25 Prozent. (Quelle: Wikipedia)

Hanffasern sind den Flachsfasern in ihren mechanischen Eigenschaften sehr ähnlich. Jutefasern sind kostengünstig und können vielseitig eingesetzt werden. Sie haben, wie auch Hanf und Flachs, eine moderate Feuchtigkeitsaufnahme, was bei der Verarbeitung berücksichtigt werden muss. Zunehmend Verwendung finden auch reine Cellulosefasern, die zum Teil sogar zu sortenreinen NFK führen (siehe Bild „PureCell).
Holzfasern werden aus Holzspänen oder Holzmehl hergestellt und sind eine Alternative zu den herkömmlichen Pflanzenfasern. Holzfasern bieten eine hohe Festigkeit und Steifigkeit, wobei die genauen Werte je nach Holzart variieren. Die resultierenden Verbundwerkstoffe sind als WPC im Außenbereich für die Gartengestaltung bekannt und beliebt.
4. Wie werden die Naturfasern aufbereitet?
Die Qualitätskontrolle für die Naturfasern beginnt jedoch nicht erst beim Faseraufschluss; die Auswahl der geeigneten Anbaustandorte und Sorten, des Erntezeitpunkts und der Erntetechnik, die Länge der Röstzeit, Art der Lagerung und vieles mehr bestimmen die Qualität der Naturfasern und damit schließlich auch die Qualität der späteren Verbundmaterialien. So sind die mechanischen Eigenschaften hergestellten NFK-Bauteile letztlich auch abhängig von Anbaubedingungen und dem Faseraufschlussverfahren. Die wichtigsten Verfahren zur Faseraufbereitung sind:
- Rösten: Die Fasern werden bei hoher Temperatur getrocknet, um Feuchtigkeit und anorganische Verunreinigungen zu entfernen.
- Zerkleinern: Die langen Naturfasern werden in kleinere Faserstücke oder Fasermatten zerkleinert, um die Verarbeitbarkeit zu verbessern.
- Imprägnieren: Die Fasern werden mit einer Polymermatrix getränkt, um die Haftung zwischen Fasern und Matrix zu verbessern.
- Trocknen: Die imprägnierten Fasern werden getrocknet, um die Feuchtigkeit zu entfernen und die Haltbarkeit der Materialien zu gewährleisten.

Dabei muss vor allem der Feuchtigkeitsgehalt der Fasern immer wieder kontrolliert werden, da eine zu hohe Feuchtigkeit die Materialeigenschaften beeinträchtigen kann. Wie bei allen faserverstärkten Kunststoffen beeinflusst die Faserlänge die mechanischen Eigenschaften, weshalb auch dieser Parameter bei der Aufbereitung eine hohe Bedeutung hat. Die Faserorientierung letztendlich wird durch die Verarbeitung beeinflusst – von kurz und ungerichtet beim Spritzgießen bis hin zu Tapes mit gerichteten Fasern für spezielle Anwendungen. Außerdem gilt, je feiner die Fasern, desto besser ist die Haftung zwischen Matrix und Faser.
Nach der Aufbereitung liegen Naturfasern in Form von Fasermatten, Fasersträngen, Granulaten etc. vor, so dass für die Weiterverarbeitung und Anwendung das individuell passende Halbzeug ausgewählt werden kann.
5. Welche Kunststoffe werden als Matrix für NFK verwendet?
Ebenso wie die Fasereigenschaften und ihre Qualität entscheidet auch die Kunststoffmatrix über die späteren Eigenschaften des Bauteils. Für Naturfasern werden vor allem thermoplastische Kunststoffe als Matrix eingesetzt.

Dabei ist Polypropylen (PP) eines der am häufigsten verwendeten Polymere. Es zeigt eine gute Haftung zu vielen Naturfasern, ist kostengünstig und kann vielseitig eingesetzt werden. Die Kombination von PP mit Naturfasern führt zu leichten und steifen Verbundwerkstoffen mit anständiger Festigkeit und guter Dimensionsstabilität.
Als biobasierte und biologisch abbaubare Variante bietet sich Polylactid (PLA) an. Auch dieser Thermoplast harmoniert gut Naturfasern. Die Kombination ergibt Verbundwerkstoffe mit guter Festigkeit, jedoch etwas geringerer Steifigkeit im Vergleich zu PP-basierten Verbundwerkstoffen.
Für Anwendungen mit höheren Anforderungen an die Schlagzähigkeit wird häufig Polyamid (PA) als Polymermatrix verwendet, während Polycarbonat gleichzeitig transparent und schlagzäh ist.
Wie immer bestimmen die Anforderungen an das Bauteil die Auswahl des geeigneten Polymers. Neben den mechanischen Eigenschaften und der Verarbeitbarkeit spielen heute zunehmend Umweltverträglichkeit, Kosten und Recyclingfähigkeit eine entscheidende Rolle.
Den potenziell niedrigsten CO2-Footprint verursachen Flachsfasern oder Hanffasern mit Polylactid (PLA) als Matrix. Flachs ist eine nachhaltige und CO2-neutrale Faserquelle, während PLA ein biobasierter und biologisch abbaubarer Kunststoff ist. Holzfasern mit PP als Matrix können ebenfalls eine günstige CO2-Bilanz aufweisen. Das Material ist weit verbreitet und häufig werden Reststoffe aus der Holzverarbeitung als Fasermaterial eingesetzt.
6. Anwendungsgebiete von Biocomposites und Produktbeispiele

Einsatzgebiete naturfaserverstärkter Kunststoffe sind beispielsweise Bauteile im Automobil-Interieur. Bei solchen gering belasteten Verkleidungselementen bieten naturfaserverstärkte Thermoplaste deutliche Vorteile in der mechanischen und akustischen Dämpfung. Beispiele finden sich auch für Innenverkleidungen, Türverkleidungen, Armaturenbretter, Kofferraumverkleidungen und Sitzlehnen. Aber auch für Strukturbauteile in Vorserienfahrzeugen oder im Rennsport werden NFK zwischenzeitlich eingesetzt.
Ihre Eigenschaften ausspielen kann diese Werkstoffklasse aber auch NFK werden in Sportgeräten wie Tennis- oder Badmintonschlägern, Snowboards, Surfbrettern und Fahrradrahmen. Die Kombination aus Leichtigkeit, Festigkeit und Dämpfungseigenschaften macht sie ideal für Hochleistungs-Sportausrüstung.
In Architektur und Bauwesen findet man sie in Dachplatten, Wänden, Deckenverkleidungen und Trennwänden. Die Dämm- und Isolationseigenschaften von NFK tragen zur Energieeffizienz von Gebäuden bei.
Erste industrielle Anwendungen werden für den Personennahverkehr erforscht und auch in der Elektronikindustrie können NFK in Gehäusen für elektronische Geräte und Gadgets verwendet werden, um eine Kombination aus geringem Gewicht und guter struktureller Integrität zu erreichen.
- Automobil: Ultraleichtes Elektrofahrzeug dank Naturfaser-Kunststoffen, Hochleistung: Autositz mit Flachsfasern, Reishülsen: Ballaststoffe für automobile Leichtbau-Teile
- Architektur und Bauwesen: livMatS-Pavillon: Nachhaltige Architektur mit gewickelten Naturfasern, Leichtbau-Brücke aus Holz und naturfaserverstärkten Composites, Biomat-Pavillon zeigt, wie biegsam und leicht Architektur sein kann
- Sport und Freizeit:
Biobattery: Flachs fürs Pedelec, Composite Textiles aus Flachs, - Personennahverkehr
Forschungsprojekt Durobast: Einheimische Bastfasern für nachhaltige Mobilität
7. Welche Besonderheiten gilt es, für das Verarbeiten naturfaserverstärkter Kunststoffe zu beachten?
Prinzipiell eignen sich auch naturfaserverstärkte Kunststoffe für diesselben Verarbeitungsprozesse wie faserverstärkte Kunststoffe. Sie lassen sich zum Beispiel Spritzgießen, Extrudieren, Pultrudieren, Form- und Fließpressen und sogar via 3D-Druck verarbeiten.
Und naturfaserverstärkte Kunststoffe sind ebenfalls anisotrope Materialien. Eine gleichmäßige Ausrichtung und Verteilung der Naturfasern in der Kunststoffmatrix ist deshalb entscheidend für optimierte mechanische Eigenschaften. Andernfalls kann es aufgrund inhomogener Materialeigenschaften zu Bauteilversagen kommen.
Die Länge der Naturfasern sowie das Faser-Volumenverhältnis können die Verarbeitbarkeit des Materials beeinflussen. So können beispielsweise zu lange Fasern die Fließeigenschaften im Spritzguss oder der Extrusion, ein zu hoher Faseranteil ist in der Regel für solche Prozesse ebenfalls hinderlich.
Eine Besonderheit ist die eventuell notwendige Faserbehandlung, um eine verbesserte Haftung zwischen Fasern und Matrix zu erzielen.
NFK zeigen außerdem aufgrund der natürlichen Fasern eine vermehrte Schwindung. Dies kann zu Formverzügen und Toleranzproblemen führen. Ebenso kann die Neigung zur Feuchtigkeitsaufnahme der Fasern in der Verarbeitung Probleme bereiten und zu Fehlstellen im Bauteil führen.
Im fertigen Bauteil stellt die Witterungsbeständigkeit des Materials die Forschenden noch vor Herausforderungen, das die Fasern als natürliche Materialien nicht zu 100 Prozent UV-stabil und je nach Polymermatrix auch nicht unter allen Bedingungen wetter- und witterungsfest sind.
Bild oben: Naturfaserverstärkte Kunststoffe könnten zur Minimierung der CO2-Emissionen beitragen. (Quelle: Draexlmaier Group, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia)
Verwendete Quellen: Wikipedia; „Naturfaserverstärkte Kunststoffe“ (2008) der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR), Der Composites-Markt Europa: Marktentwicklungen, Herausforderungen und Chancen (avk-tv.de),
Außerdem wurde der Beitrag mit Hilfe von KI-generierten Suchergebnissen erstellt. Die KI (chat-GPT und Bing) nannte als ihre Quellen: European Commission: „EC JRC Technical Report: Prospective environmental life cycle assessment of natural fibre-reinforced composite materials“, ResearchGate: „Mechanical properties of natural fibers and their composites“, Journal of Reinforced Plastics and Composites: „Mechanical and acoustical properties of natural fibre-reinforced composites“, International Journal of Polymer Science, „Friction and wear of natural fibre-reinforced composites“, ScienceDirect: „Mechanical properties of natural fiber reinforced polymer composites“, TUC-17-02_cs1.pdf (snic.de), International Journal of Engineering Research and Applications: „A study on mechanical properties of natural jute fiber“

Autor: Christine Koblmiller, Redakteurin, Gründerin, Fachjournalistin aus Leidenschaft und überzeugter Leichtbau-Fan.
Mit dem Metamagazin Leichtbauwelt.de habe ich 2018 ein neues Medienformat im B2B-Umfeld geschaffen. Leichtbauwelt ist Inspiration für Ihren Fortschritt und Wissen, wie’s leicht wird. Leichtbauwelt verlinkt, vernetzt und ordnet ein, verlagsunabhängig und transparent. Partei ergreife ich nur für den Leichtbau, von dessen Nutzen ich überzeugt bin.
Seit etwa 25 Jahren bin ich Redakteurin für technische B2B-Fachzeitschriften. Für verschiedene führende Fachmagazine habe ich als eBusiness-Projektmanager Industrie schon 2001 crossmediale Angebote eingeführt, denn die Digitalisierung aller Lebensbereiche hat Einfluss auf unser Informationsverhalten. Deshalb bin ich mir sicher, dass sich die Medienbranche wandeln muss. Mehr über mich finden Sie unter Conkomm, auf Xing oder LinkedIn.
„Leichtbau fasziniert und begeistert. Die Entwicklung von Leichtbauwelt über die letzten Jahre zeigt, dass der Markt unser Angebot braucht und gerne annimmt.“
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