Die Entwicklung leichter Baustoffe und Bauweisen – ein spannendes Thema? Ja natürlich. Und außerdem ist es interessant, den von mir auf Leichtbwelt propagierten Blick über den Tellerand einmal selbst zu testen. Deshalb habe ich mir als Teilnehmer der Workshops am 03.07. aus den Panels die Branchen ausgesucht, die nicht zu den bekannten Treibern der Entwicklungen im Leichtbau gehören. Ich wollte erleben, welche Ideen und Trends die Teilnehmer dieser Branchen diskutieren – und wie wertvoll der Blick über den Tellerrand tatsächlich ist.
Zunächst wurde die Teilnehmer mit der Frage aus der Reserve gelockt, welche Visionen es für die Materialentwicklung im Leichtbau für diese Branche gibt. Dabei kamen fünf wichtige Themenbereiche immer wieder zur Sprache:
- Materialien werden künftig virtuell entwickelt.
| Dabei spielen Big Data und die „ab initio Simulation“ basierend auf Quanten-Computing eine wichtige Rolle.
| Innovationszyklen werden sich dadurch künftig verkürzen. - Hybrider Leichtbau und Materialkombinationen werden wichtiger.
| Ganz konkret wurden Kombinationen mit nachwachsenden Rohstoffen sowie hoch- und höchstfesten Materialien genannt. - Das effiziente Recycling der verwendeten Baustoffe wird bedeutender werden.
| Hybride Werkstoffe müssen deshalb wieder getrennt werden können.
Zellulosebasierte Werkstoffe sowie Gipsmaterialien könnten vom Recyclingtrend profitieren. - Daraus leiten sich zwei weitere wichtige Themen ab: Fügetechnologie und Werkstoffanzahl
| Methoden zum Fügen von Materialien werden künftig auch daran gemessen werden, wie gut sich die Werkstoffe wieder trennen lassen.
| Die Anzahl der unterschiedlichen Werkstoffe am Bau wird abnehmen. Die Zukunft gehört den sogenannten strukturdifferenzierten Werkstoffen auf Monomaterialbasis (Schaumstrukturen sind leicht und lassen sich vor dem Aufschäumen volumeneffizient transportieren). - In der Methodenentwicklung und Konstruktion werden Lastpfade und die Fügeverfahren bedeutender werden.
In einer zweiten Fragerunde wurden die Chancen und Risiken für die Materialentwicklung im Bauwesen diskutiert. Und gleichzeitig bat die Moderatorin der Session darum, Lösungsansätze zu beschreiben. Welch wichtige Lenkungsfunktion und entwicklungsfördernde Bedeutung die politischen Rahmenbedingungen – ganz besonders im Bauwesen – haben, wurde dabei mehr als deutlich.
- Die Zulassungsverfahren für neue Materialien am Bau müssen europaweit vereinheitlicht und beschleunigt werden.
- Durch politische Anreize könnte die Entwicklung neuer Leichtbau-Materialien für den Bau vorangetrieben werden. Darunter fallen:
| Anreize für eine energetische Sanierung von Gebäuden mit Hilfe von Leichtbaumaterialien
| Anreize für materialeffizientes Bauen, so dass teurere Werkstoffe (beispielsweise Textilbeton) für den Bauherren unterm Strich kostengünstiger – oder mindestens kostenneutral – werden.
| Öffentliche Ausschreibungen könnten hier durch ein gefordertes „Green Fullfillment“ eine Vorbildfunktion übernehmen.
| Eine weitere Möglichkeit wäre ein „Labelling“ nachhaltiger Baustoffe im Leichtbau – im besten Fall verbunden mit finanziellen Anreizen – in jedem Fall aber kann hier der Staat eine Vorreiterrolle einnehmen.
| Eine einzuführende CO2-Steuer wurde als Chance für neue Materialien beurteilt. - Für einige neue Materialien fehlt die Versorgungssicherheit mit den notwendigen Rohstoffen.
| Langfristig sind solche Entwicklungen aber nur dann wirtschaftlich sinnvoll. Eine Möglichkeit wären zum Beispiel Rahmenverträge mit Lieferstaaten. - Finanzielle und Haftungsrisiken sind generell – gerade für kleinere und mittlere Unternehmen im Bauwesen kaum zu stemmen.
| Hier wünschten sich die Teilnehmer nicht nur finanzielle Unterstützung beim Upscaling, sondern auch das Abmildern der Haftungsrisiken. Denn Stand heute muss für alle neuen Werkstoffe der Nachweis erbracht werden, dass sie den baurechtlichen Anforderungen genügen. - Leichtbauwissen ist notwendig, vom Handwerker über den Bauunternehmer bis hin zum Architekten.
| Eine echte Herausforderung ist die Aus- und Weiterbildung der beteiligten entlang der Wertschöpfungskette – auch im Bauwesen. Das betrifft sowohl staatliche, als auch institutionelle und unternehmerische Bildungsinhalte.
Die Wunschliste an die Politik ist also sehr lang – aber auch sehr konkret. Generell habe ich in dieser Diskussion den Eindruck gehabt, dass die Branche ideenreich und kreativ mit neuen Baustoffen experimentiert und das auch umsetzen möchte. Dem entgegen steht der sehr deutsche Anspruch, dass Bauwerke hierzulande für die Ewigkeit errichtet werden müssen.
Vielleicht bedarf es auch im Bauwesen eines ebenso fundamentalen Umdenkens, wie in der Mobilität der Zukunft. Einen Ausblick wagt zum Beispiel die aktuelle Studie der Leichtbau BW: Leichtbau im urbanen System. Hier lohnt sich ein Blick ins pdf (und über den Tellerrand)!
Bild oben: Der Faserpavillon besteht aus 60 einzelnen Faserverbundteilen aus Glas- und Kohlestofffasern, die von einem Roboter hergestellt wurden. (Quelle: BUGA Heilbronn)
Autor: Christine Koblmiller, Redakteurin, Gründerin, Fachjournalistin aus Leidenschaft
Mit dem Metamagazin Leichtbauwelt.de hat sie 2018 den Schritt in die Selbständigkeit gewagt und mit Leichtbauwelt ein neues Medienformat geschaffen.
Christine Koblmiller ist seit 1995 Redakteurin für technische B2B-Fachzeitschriften. Für diese Fachmagazine der SVHFI (Süddeutscher Verlag Hüthig Fachinformation) hat sie als eBusiness-Projektmanager Industrie den Online-Bereich maßgeblich mitgestaltet und schon 2001 crossmediale Angebote eingeführt. Mehr über Christine Koblmiller unter Conkomm, auf Xing oder LinkedIn.
„Leichtbau fasziniert und begeistert Techniker. Ich bin überzeugt davon, dass der Markt für ein Angebot wie Leichtbauwelt.de reif ist.“
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