Pionier der Leichtbauwelt – Kay Kölzig: „Die Zukunft des Leichtbaus liegt in der Natur“

Naturfasern als Leichtbaumaterial? Klar. Aber als ernstzunehmende Alternative zu Glasfasern? Kay Kölzig und Lovis Kneisel, die beiden Gründer der Fuse GmbH sind angetreten zu beweisen, dass es funktioniert. Ihre innovative Technologie bietet einen vielversprechenden Weg, den Leichtbau grüner und effizienter zu gestalten. Im Interview erzählt Kay Kölzig von Prioritäten, Visionen und Hindernissen – und warum sich manches Hindernis als Chance erweist. 

Bild oben: Kay Kölzig, CTO (Quelle: Fuse GmbH)

Im Leichtbau sind branchen- und werkstoffübergreifende Impulse und neue Inspirationen für kreative, technologische Lösungen äußerst wertvoll. In der Serie „Pioniere der Leichtbauwelt“ kommen deshalb Gründer und Start-ups zu Wort. Hier haben sie die Möglichkeit, ihre Technologie, ihre Ideen und Visionen vorzustellen. Wenn sich so neue Partnerschaften über Unternehmens- und Branchengrenzen hinweg ergeben, dann haben wir bei Leichtbau(welt) unser Ziel erreicht: Inspiration für ihren Fortschritt.

Das Unternehmen „FUSE“ verbindet Natur und Technik auf einzigartige Weise – mit einem ausgefeilten Prozess, der Naturfasern zu einem hochleistungsfähigen Leichtbaumaterial der Zukunft macht – und mit der lokalen Rohstoffproduktion beginnt.

Leichtbauwelt: Was hat Ihre Technologie mit Leichtbau zu tun?

Kay Kölzig: Wir stellen ein Leichtbauhalbzeug aus 100% nachwachsenden Rohstoffen her, um der Industrie eine nachhaltige und zukunftsfähige Alternative zu synthetisches Verstärkungsfasern zu bieten. Der Name unseres Unternehmens steht für „Natural Fibers in Use“.

Leichtbauwelt: Wie ist die Idee dazu entstanden und welchen Weg nahm die Entwicklung?

Kay Kölzig: Lovis und ich haben beide gemeinsam in einem Entwicklungsprojekt an einem der Fraunhofer-Institute gearbeitet, in dem es darum ging, einen 100% biobasierten Autokindersitz mit voller Crashperformance zu entwickeln. Dabei waren wir beide beeindruckt von den Leistungspotenzialen der Naturfaser.​

Leichtbauwelt: Können Sie uns das Besondere Ihrer Technologie in wenigen Sätzen erklären?

Kay Kölzig: Wir haben in unserem jungen Unternehmen einen eigens entwickelten Herstellungsprozess, der es uns ermöglicht sehr effizient, kostengünstig und mit hoher Gleichmäßigkeit Leichtbauhalbzeuge zu produzieren. Als Rohstoff nutzen wir regionale Hanffasern – ein weiteres Alleinstellungsmerkmal​.

Leichtbauwelt: Leichtbauhalbzeuge aus NFK werden immer mehr entwickelt. Was genau ist an Ihrem Prozess besonders interessant?

Kay Kölzig: Die Prozessflexibilität. Wir können mit unserem Prozess sowohl trockene als auch thermoplastisch verarbeitbare Halbzeuge produzieren.

„Wir stellen ein Leichtbauhalbzeug aus 100% nachwachsenden Rohstoffen her, um der Industrie eine nachhaltige und zukunftsfähige Alternative zu synthetischen Verstärkungsfasern zu bieten.“

Leichtbauwelt: Bei nachwachsenden Rohstoffen denkt man zunächst an Nachhaltigkeit.  

Kay Kölzig: Natürlich profitieren Anwender von einer CO2-Einsparung der Naturfaser, die bei rund 70% im Vergleich zur Glasfaser liegt. Leichtbauwerkstoffe auf Basis nachwachsender Rohstoffe haben einen extrem niedrigen CO2-Impact.

Leichtbauwelt: Aber warum glauben Sie, dass diese Halbzeuge tatsächlich mehr können?

Microtapes aus dem nachwachsenden Rohstoff Hanf (Quelle: Fuse)

Kay Kölzig: Der Grund ist das einzigartige Eigenschaftsprofil der Naturfasern, die man durchaus als Gegenspieler zur Glasfaser auch für Hochleistungsanwendungen einsetzen kann. Die Naturfasern haben nur die halbe Dichte und daher ein hohes Leichtbaupotenzial. Sie besitzen eine hohe Schwingungsdämpfung und sind deshalb interessant für akustische und dynamische Anwendungen.

Leichtbauwelt: Ist dann die Nachhaltigkeit überhaupt der Treiber für Ihre Technologie?

Kay Kölzig: Selbstverständlich ist Nachhaltigkeit für uns wichtig, aber sie ist in der Tat nicht das Hauptargument für unser Produkt. Am Ende müssen die Produkt- und Leichtbaueigenschaften stimmen​.

Leichtbauwelt: Wann wussten Sie, dass aus dieser Idee ein Unternehmen werden könnte? Gab es so etwas wie einen „Point of no return“?

Kay Kölzig: Im Jahr 2023, als wir gemerkt haben, dass unser Prozess wirklich wettbewerbsfähig ist und der Naturfaserverbundmarkt ein riesiges Potenzial mit sich bringt. Ab da ging es wirklich schnell: Eine eigene Produktionshalle und ein wahnsinnig altruistisch getriebener Investor waren der Startschuss für den Aufbau unserer eigenen größeren Produktionskapazitäten​.

Leichtbauwelt: Wie ist Ihr Start-up derzeit aufgestellt?

Kay Kölzig: Wir haben eine sehr offene Kommunikation und sehr flache Hierarchien. Wir sind im Team rund zehn Personen, die alle einen tollen Beitrag für unsere Vision leisten. Lovis ist Textilingenieur mit Knowhow im wirtschaftlichen Bereich und ich selbst habe eine große Expertise mit Faserverbundwerkstoffen und Produktentwicklung. Das ergänzt sich für die Produktion von Halbzeugen hervorragend. Außerdem sind wir beide sehr aufgeschlossen und mit Leidenschaft der Naturfaser verschrieben. Das spüren auch unsere Kunden.

Leichtbauwelt: Wer hat Sie bei der Firmengründung in welchem Maße unterstützt? 

Kay Kölzig: Torsten Brücker, der ehemalige Geschäftsführer, war unser Mentor, der uns in die komplexe Welt der Naturfaser eingeführt hat. Mit ihm haben wir die ersten Schritte im Generationswechsel der ehemaligen Sachsen-Leinen GmbH zur heutigen FUSE GmbH beschritten und uns zu einem Entwicklungs- und Produktionsunternehmen für biobasierte Leichtbauwerkstoffe entwickelt.

Leichtbauwelt: Welche weiteren Entwicklungen planen Sie?

Das junge Unternehmen produziert den Rohstoff für die Halbzeuge selbst. Im Bild die Hanfernte. (Quelle: Fuse)

Kay Kölzig: Unsere eigene Rohstoffproduktion ist im Aufbau. Dieses Jahr bauen wir bereits 20 ha Hanf zur Fasergewinnung an. Wir setzen ganz vorne in der Wertschöpfungskette, bei der Rohstoffproduktion an. Denn mit der richtigen Rohstoffqualität können wir unsere Produkte noch besser und die Lieferkette noch transparenter machen.

Leichtbauwelt: Wo sehen Sie Ihr Unternehmen mittelfristig?

Kay Kölzig: Wir möchten mit unseren Produkten Anwendungen mit hohen Stückzahlen und Materialvolumen erschließen. Denn so steigt der positive Impact auf die Industrie und wir können aktiv am Reduzieren des CO2-Ausstoß​es mitwirken.

„Nachhaltigkeit ist für uns wichtig, aber nicht das Hauptargument für unser Produkt. Am Ende müssen die Produkt- und Leichtbaueigenschaften stimmen.“

Leichtbauwelt: Für welche Branchen könnte Ihre Idee über die bisherigen Anwendungen hinaus nützlich sein?

Kay Kölzig: Neue Einsatzmöglichkeiten sehe ich zum Beispiel für Bauteile großer Baumaschinen. Die schwingungsdämpfenden Eigenschaften und das niedrige Gewicht im Vergleich zu zum Beispiel Verkleidungsbauteilen aus Stahl bieten sehr viele Vorteile​​.

Leichtbauwelt: Gibt es auch Einschränkungen? Für welche Anwendungen lassen sich die Halbzeuge auf Naturfaserbasis nicht einsetzen?

Kay Kölzig: Natürlich gibt es auch Anwendungen, in denen die Naturfaser nicht funktioniert. Wenn beispielsweise extrem hohe Festigkeiten vom Material gefordert werden, ist die Naturfaser der Carbonfaser klar unterlegen​.

Leichtbau ist für mich persönlich …
~… keine eigene Kategorie in der Produktentwicklung…weniger Material, weniger Gewicht ist bei allen Produkten von Vorteil. Also sollten Leichtbauoptionen immer mitgedacht werden.

Die größte Herausforderung im Leichtbau ist …
~… aktuell die Kreislaufführung von Verbundwerkstoffen.

Der wichtigste Trend im Leichtbau ist aktuell …
~… nicht nur einer. Neue Entwicklungen werden bestimmt von CO2-Einsparung und Kreislauffähigkeit.

Leichtbauwelt: Nehmen Sie uns mit in Ihren Alltag: Gab es bereits spannende Projekte oder eine Lösung, auf die Sie besonders stolz sind?

Kay Kölzig: Wir arbeiten daran, dass unsere Halbzeuge in möglichst vielen industriellen Weiterverarbeitungsprozessen funktionieren. So müssen zum Beispiel bei der Pultrusion die Halbzeuge höhere Zugkräfte bei der Verarbeitung aufnehmen. Außerdem sind Naturfasern im Vergleich zu Carbon- oder Glasfasern nicht endlos und kommen da schnell an die Grenzen der Prozessierbarkeit. Doch genau für diese Herausforderungen haben wir uns einige Kniffe einfallen lassen, die zum gewünschten Ergebnis führen. Aber wie genau wir das gemacht haben, bleibt unser Geheimnis 😉.

Leichtbauwelt: Welchen weiteren Herausforderungen begegnen Sie denn in Ihrem „Leichtbau-Alltag“?

Kay Kölzig: Naturfasern gibt es zwar schon seit mehreren 100 Jahren in technischen Anwendungen. Im Leichtbau sind sie allerdings noch relativ neu und wenig etabliert. Viele Anwender haben daher wenig Erfahrungen und eine gewisse Skepsis, die wir gemeinsam überwinden müssen.
Ein weiterer Aspekt ist die fehlende Skalierung der Werkstoffe. Hier ist uns die Glasfaser zum Beispiel 30 Jahre voraus. Daher sind die Materialpreise für Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen wie unsere UD-Tapes noch verhältnismäßig hoch.

Leichtbauwelt: Werden Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen diesen Vorsprung der Glasfaser nivellieren können? Welchen Zeitrahmen würden sie hier prognostizieren und von was hängt das ab? 

Kay Kölzig: Daran glaube ich fest, denn die Eigenschaften und Potenziale für technische Anwendungen der Naturfaser sind enorm. Die Geschwindigkeit dieses Prozesses hängt sehr von den politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Eine CO2-Bepreisung auf Materialien und Herstellung sowie Recyclingvorgaben können die Skalierung sehr beschleunigen.

Leichtbauwelt: An welchen Hindernissen sind Sie mit Ihrem Unternehmen in den letzten Jahren gewachsen? 

Kay Kölzig: Tatsächlich ist das, was uns am meisten bremst, die Bürokratie in Deutschland. Leider gehen viele Ressourcen dafür verloren, weil wir mit Ämtern kommunizieren und Papier beschreiben müssen. Dieser hohe Aufwand entsteht schon für kleinere Baumaßnahmen oder die Bereitstellung von bezahlbarem Industriestrom. Das bereitet uns oft Kopfzerbrechen​.

Leichtbauwelt: Welche drei wichtigsten Tipps würden Sie all denjenigen mitgeben, die gründen wollen?

Kay Kölzig: Holt euch ein ehrliches Feedback zu eurem Konzept von erfahrenen Unternehmerinnen und Unternehmern, kalkuliert wirklich realistisch ob das, was ihr vor habt jemals wirtschaftlich funktionieren kann und vor allem: Habt den Mut eure Vision in die Tat umzusetzen.

Leichtbauwelt: In welcher Branche oder in welchen Produkten entfaltet Ihrer Ansicht nach Leichtbau den größten Nutzen?

Kay Kölzig: In der Mobilität hat der Leichtbau sicher den größten Impact auf die CO2-Bilanz und bei den Sportgeräten ist der Effekt für den oder die Einzelne(n) besonders spürbar.

Leichtbauwelt: Welche Branchen oder Trends treiben nach Ihrer Erfahrung die Entwicklungen im Leichtbau voran?

Kay Kölzig: Die großen Innovationen finden in der Luft und Raumfahrt statt, da hier die Kosten für die Entwicklung oft keine Rolle spielen.

Leichtbauwelt: Sehen Sie eine Konkurrenz der Werkstoffklassen um das „Beste Leichtbaumaterial“? 

Kay Kölzig: Ich glaube, dass jeder Leichtbauwerkstoff seine eigenen Vor- und Nachteile hat und jedes einzelne Material in Zukunft sein Spezialgebiet haben wird. Der wichtigste Satz dazu im Leichtbaustudium ist: „Die richtige Menge vom richtigen Werkstoff an der richtigen Stelle.“ Das stimmt wirklich.

Leichtbauwelt: Welche Leichtbau-Innovation, welches Projekt oder Forschungsergebnis hat Sie in der letzten Zeit besonders fasziniert? 

Kay Kölzig: Das ist schnell gesagt: Das 3D-Roboterwickeln der Uni in Stuttgart.

Leichtbauwelt: Hatten die turbulenten letzten Jahre Auswirkungen auf Ihren Start als Unternehmen? Wenn ja, welche?

Kay Kölzig: Natürlich, wir sind in der Covid-Pandemie gestartet und mussten alle im Homeoffice bleiben, an den Aufbau einer Produktion war nicht zu denken, danach begann der Ukrainekrieg und die dadurch ausgelöste Inflation, die die Bereitschaft von Kunden sehr geschmälert hat, mehr Geld für nachhaltige Produkte auszugeben.
Allerdings gab es auch einige Vorteile: In geopolitisch unsicheren Zeiten sind regional verfügbare Rohstoffe wichtiger denn je. Das spiegeln uns auch die Kunden aus der Industrie.

Leichtbauwelt: Lassen Sie uns ein bisschen träumen: Wenn Sie einen Wunsch für den Leichtbau und Ihr Unternehmen frei hätten, was würden Sie sich wünschen?

Kay Kölzig: Dass Produktentwickler und Produktentwicklerinnen sowie Konstrukteurinnen und Konstrukteure genauso selbstverständlich mit nachwachsenden Leichtbauwerkstoffen umgehen, wie mit den synthetischen.  Außerdem wäre es im Sinne der Nachhaltigkeit zielführend, wenn die politischen Weichen so gestellt würden, dass die Auswirkungen von Materialsystemen auf die Umwelt wie CO2-Ausstoß und End-of-Life in den Materialpreis einfließen. Das würde eine enorme Gleichstellung für nachwachsende Rohstoffe bewirken.


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