Pioniere der Leichtbauwelt – Ingo Berbig: „Die Funktion bestimmt das Material.“

Pioniere der Leichtbauwelt – Ingo Berbig: „Die Funktion bestimmt das Material.“

-In der Speichen- und Laufradmanufaktur PI Rope stellt ein kreatives Team mit Leidenschaft für den Radsport besonders leichte Laufräder mit textilen Speichen her. Ganze 2,2 g bringen die aus der Faser Vectran gefertigten Speichen auf die Waage. Die Fasern werden im Fertigungsprozess in einem Geflecht gebündelt. Das Know-how des Unternehmens steckt aber nicht nur im Herstellprozess des Fasergeflechts, sondern auch in der besonderen Verankerung der textilen Speichen in Nabe und Felge.

Die Passion für das Radfahren und die Suche nach passenderen Materialien für besondere Anforderungen im Radsport – seit 2006 beschäftigen sich die Gründer bereits mit den Grundlagen der verwendeten Materialien und Bauteilen. Diese Erfahrung war der Grundstein für den Start als Unternehmen PI Rope im September 2017, erzählt Ingo Berbig, Mitgründer und Geschäftsführer des Unternehmens im Interview mit Leichtbauwelt.

In der vergleichsweise jungen Technologie Leichtbau geht es darum, branchen- und werkstoffübergreifend Impulse zu vermitteln und Trends zu setzen. In der Serie „Pioniere der Leichtbauwelt“ kommen deshalb Gründer und Start-ups zu Wort. Hier haben sie die Möglichkeit, ihre Technologie, ihre Ideen und Visionen vorzustellen. Und wenn sich dabei neue Partnerschaften über Unternehmens- und Branchengrenzen hinweg ergeben, so konnte Leichtbau(welt) einmal mehr eine „Win-Win“-Situation schaffen.

Leichtbauwelt:PI Rope“ – hat der Name des Unternehmens eine Bedeutung?

Ingo Berbig: PI Rope setzt sich zusammen aus der Kreiszahl π und dem Seil selbst. Damit gelingt die Verbindung zwischen Produkt und Unternehmen.

Leichtbauwelt: Was hat ihre Vision – textile Speichen für den Radsport – mit Leichtbau zu tun?

Ingo Berbig: Eine ganze Menge! Vergleicht man die Dichte der von uns verwendeten Materialien mit dem bisher verwendeten Werkstoff Stahl erkennt man bereits deutlich das Potential. Einzig durch die Verwendung unserer Speichen gelingt im Vergleich zu Stahl eine Einsparung von 150 bis 200 g – ohne an Haltbarkeit und Performance einzubüßen. Was zunächst wenig klingt, entspricht bei einem Gesamtgewicht von knapp 1.000g für einen Laufradsatz deshalb fast einem Fünftel.
Auch unterbieten wir in Sachen Gewicht viele Laufradsätze mit Carbon-Speichen, auch wenn hier der direkte Vergleich zwischen Speichengewichten und -steifigkeiten schwierig ist, da es sich um eine gänzlich andere Bauweise handelt. Vielmehr kann man hier die bessere Austauschbarkeit, das bessere Dämpfungsverhalten und eine bessere Haltbarkeit gegen seitliche Außeneinflüsse nennen. Während Carbon-Speichen schnell feine Beschädigungen durch beispielsweise Steine und Äste aufweisen, können unsere Speichen als biegeschlaffe Bauteile solche Aufprallereignisse durch elastische Verformung aufnehmen.

Leichtbauwelt: Wer einmal mit einem schweren Stahlross bergauf geradelt ist, weiß, wie wichtig das Gewicht beim Fahrrad ist. Aber Speichen aus Textilfasern sind nun doch zumindest gewöhnungsbedürftig…

Ingo Berbig: Unsere Speichen bestehen nicht nur aus einem außergewöhnlichen Material, sie sind auch komplett anders aufgebaut als herkömmliche Speichen. Neben dem niedrigen Gewicht erreichen wir ein verbessertes mechanisches Verhalten. Und das Verhalten bei Beschädigung ist ebenfalls deutlich toleranter als Stahl und Carbon.

Leichtbauwelt: Aber wie funktionieren Speichen aus Textilfasern? Das müssen Sie uns bitte erklären…

Ingo Berbig: Das mechanische Verhalten unserer Speichen stellt eine definierte Charakteristik unserer Produkte dar. Bei dem verwendeten Material und der Bauweise handelt es sich um eine Art Feder- Dämpfer- Einheit. So kann unseren Laufrädern sowohl Komfort als auch Direktheit im Fahrverhalten bescheinigt werden. Verglichen mit einer gedachten Stabfeder, welche eine Stahlspeiche verkörpert, werden auftretende Schwingungen nicht weitergeleitet, sondern direkt am Entstehungsort absorbiert. Dies sorgt für einen deutlich verbesserten Bodenkontakt, eine direktere Kraftübertragung bei gleichzeitiger optimierter Steuerungsgenauigkeit und in der Folge auch für eine geringere Belastung auf den Fahrer.

Und das Verhalten bei Beschädigung lässt sich anhand der Bauweise der Speiche erklären. Schläge können durch die Charakteristik schadfrei absorbiert werden. Hier werden statt plastischer Verformung deutlich mehr Ereignisse durch elastische Verformung aufgenommen.
Sollte es zu einem Kontakt von außen kommen, können Bestandteile des Querschnittes eine optische Beschädigung darstellen. Dies kann leicht repariert werden. Sollte eine Schädigung etwa 50 % des Querschnittes ausmachen, liegt trotzdem noch eine Notlaufeigenschaft vor. Hier kann der Rückweg noch angetreten werden und man kommt sicher nach Hause.

Leichtbauwelt: Welcher Aspekt der textilen Speiche war oder ist technologisch aus Sicht eines Produktentwicklers besonders interessant?

Ingo Berbig: Die komplette Neubetrachtung einer Speiche. Wir haben uns die Randbedingungen genau angeschaut und uns nicht mit dem herkömmlichen Material zufriedengegeben. Dabei ist es uns gelungen, eine völlig neue Anbindung eines textilen Geflechts an einen metallischen Endverbinder zu entwickeln. Das ist sicherlich nicht nur für die Radbranche interessant.

Leichtbauwelt: An welche Bauteile oder Branchen denken Sie dabei?

Ingo Berbig: Unsere Produkte finden bereits jetzt in unterschiedlichen Bereichen ihre Verwendung. Da es sich hier aber um sehr sensible Themen handelt, können wir leider nicht konkret werden. Im Allgemeinen sehen wir aber Einsatzgebiet im Maschinenbau. Hier sind eigentlich alle Anwendungen aus dem Bereich Leichtbau zu nennen, bei denen sehr leichte Zuganker benötigt werden. Konkret bedeutet das: Überall dort, wo Dinge zentriert oder abgespannt werden, aber auch in Trag- und Fachwerken kann man unser Produkt grundsätzlich einsetzen.

Leichtbauwelt: Sie bezeichnen Ihr Unternehmen auf der Webseite als Manufaktur. Wenn die Technologie auch für andere Branchen interessant sein könnte, wie weit sind Sie auf dem Weg zu einer Serienproduktion schon vorangekommen?

Ingo Berbig: Den Herstellungsprozess selbst entwickeln wir permanent weiter. Jeder einzelne Schritt ist einerseits auf die Reproduzierbarkeit der Eigenschaften des Bauteils Speiche ausgelegt, andererseits auch auf die notwendige Massenproduktion. Die Fertigung selbst besteht aus einer Vielzahl – vorrangig geheimer – einzelner Prozessschritte. Der von uns aktuell umgesetzte Fertigungsprozess hat bereits mehrere Entwicklungsstufen vollzogen, insbesondere aber die weitere Automatisierung von handarbeitsintensiven Schritten steht dabei auch für die Zukunft im Vordergrund.

„Die textilen Speichen bieten einen Gewichtsvorteil bei gleichzeitig verbesserter Performance und stellen zudem eine sehr materialschonende Bauweise dar.“

In einem Video zeigt PI Rope die textilen Speichen im Einsatz bei Rennrad, MTB und Gravelbike.

Leichtbauwelt: Welche Grenzen sind ihrer Idee gesetzt? Wann macht der Einsatz eines solchen faserbasierten, leichten Zugankers keinen Sinn?

Ingo Berbig: Sinnlos ist der Einsatz der Technologie im Niedrigpreissegment in der Fahrradindustrie. Die Herstellungskosten und die Produktionszeit sprechen gegen ein Massenprodukt. Ob es technische Einschränkungen gibt, muss die genaue Aufgabenstellung ergeben. Man kann in vielen Belangen Vorkehrungen treffen um eine Applikation 100%ig funktional zu gestalten. So können wir beispielsweise auf sich ändernde Randbedingungen wie Einsatztemperaturen und auftretende Lasten durch eine Anpassung des Geflechts reagieren. Hier lassen sich mit unserem Know-how sowohl das Material als solches, als auch die Geometrie und Veredelung anpassen.

Leichtbauwelt: Gab es bei Ihren bisherigen Projekten auch besonders schwierige Herausforderungen?

Ingo Berbig: Für uns ist jedes Projekt interessant und herausfordernd, denn das macht unsere Arbeit aus: sich komplexen Aufgaben zu stellen und diese vollumfänglich zu lösen. Eine der spannendsten Herausforderungen stellt unsere eigene Herstellungstechnologie dar. Hier haben wir im Laufe der Zeit beachtliche Fortschritte gemacht und damit auch die Qualität unserer Produkte enorm verbessert.

Leichtbau ist für mich …
~… die persönliche Verwirklichung meiner Ideen.

Die größte Herausforderung im Leichtbau ist, …
~… das Zusammenspiel von Potential und späterer Funktion.

Das Interview für Leichtbauwelt ist mir wichtig, weil…
~… um unsere Produkte einem breiteren Publikum vorzustellen und uns weiter zu vernetzen. Insbesondere in den industriellen Anwendungen abseits des Rades gibt es sicherlich noch Anwendungen, bei denen wir helfen können.

Die Informationsplattform Leichtbauwelt bietet Inspiration für Fortschritt. Sie ist ein „Place2B“, weil, …
~… man mit wenigen Klicks gut über den das aktuelle Geschehen auf dem Markt, aber auch in der Forschung informiert ist.

Auf Leichtbauwelt fehlt mir noch…
~… ein Interview mit jemandem aus unserem Unternehmen 😉.

Leichtbauwelt: Wo sehen Sie die textile Speiche oder allgemein ihre Idee mittelfristig?

Ingo Berbig: Wir wollen die Stahlspeiche definitiv nicht verdrängen. Jedoch steht unser Produkt für den Bereich, wo wir auch gern eingeordnet werden wollen: Die textile Speiche ist ein Hochleistungsprodukt ohne Einschränkung. In diesem Zusammenhang sehen wir uns als den Hersteller für äußerst leichte und leistungsfähige Laufräder. Wir wollen und werden uns europa- und weltweit auf dem Markt etablieren und somit einen gerechtfertigten Platz auf dem Markt einnehmen.

Leichtbauwelt: An welchen Hindernissen sind Sie in den ersten Gründungsjahren gewachsen? Gab es dabei ein besonderes Ereignis, eine wichtige Phase?

Ingo Berbig: Die Entwicklung des Produktes beruht auf Höhen und Tiefen. Gerade aus den Tiefen kann man sehr viel lernen. Das Beseitigen von Fehlern und die darauf bezogene Anpassung der eigenen Technologie brachte unsere Firma erst auf die richtige Spur.

„Ob Gründer oder Profisportler – beide benötigen Überzeugung und Durchhaltevermögen auf dem Weg zum Erfolg.“

Leichtbauwelt: Welche drei Tipps würden Sie angehenden GründerInnen geben wollen?

Ingo Berbig: Dieselben, die auch einem Profisportler zum Erfolg verhelfen:

  1. Überzeugung: Für das eigene Produkt, die eigene Idee!
  2. Durchhaltevermögen: Auch Durststrecken gehören zur Entwicklung einer Firma dazu. Wenn Fehler gemacht werden, muss man daraus lernen und sich auf diese Weise weiterentwickeln.
  3. Den Blick nach vorn und zur Seite: Das eigene Ziel niemals aus den Augen verlieren. Gleichzeitig schauen, wer einem auf dem Weg weiterhelfen kann.
Ingo Berbig, Gründer und Geschäftsführer von PI Rope (Quelle: Sportograf – PI Rope)

Hinzu kommt dass die Produktentwicklung selbst eine breite Themenpalette darstellt.

Leichtbauwelt: Gibt es auch im „Leichtbau-Alltag“ noch Herausforderungen für Sie?

Ingo Berbig: Für uns ist besonders die Fügetechnik eine relevante Aufgabenstellung. Diese muss man auch unter dem Gesichtspunkt des Umwelteinflusses betrachten. Aus unserer Sicht ist die Einhaltung einer eindeutigen Werkstoffklasse gerade im Bezug auf die Wiederverwertung und der Recyclingfähigkeit besonders wichtig.

Leichtbauwelt: Welchen Beitrag können Sie mit Ihren Produkten zum Klimaschutz leisten? Wird dieser Beitrag von den Anwendern gesehen oder gar geschätzt??

Ingo Berbig: Wir befinden uns in unserer Branche im Sportbereich. Übergeordnet ist das Zurücklegen von Strecken aus eigener Kraft. So gesehen, könnte man sagen, dass wir den CO2–freien Individualverkehr fördern: Ein Fahrrad als begeisterndes Sportgerät sorgt auch dafür, dass im Alltag das Auto häufiger stehen gelassen wird. Viele unserer Kunden sind allein schon deshalb „Überzeugungstäter“ im Bereich Klimaschutz – natürlich häufig auch schon bevor sie unsere Produkte nutzen😉. Zudem versuchen wir unser Produktportfolio und alles darum herum besonders umweltschonend und nachhaltig zu gestalten. Viele Teile kommen über kurze Wege von regionalen Zuliefererfirmen zu uns.
Darüber hinaus sehen wir, wie bereits gesagt, unsere Anwendung auch in anderen Bereich des Leichtbaus wie der Transportbranche, in der unsere Produkte künftig einen Nutzen haben werden..

Leichtbauwelt: Welche Leichtbau-Innovation, welches Projekt oder Forschungsergebnis hat Sie in der letzten Zeit besonders fasziniert?

Ingo Berbig: Unser eigenes 😉. Darüber hinaus freuen wir uns natürlich (auch privat) über die vielen Neu- und Weiterentwicklungen im Fahrradbereich, die unsere Branche noch spannender machen.

Leichtbauwelt: Lassen Sie uns ein bisschen träumen: Wenn Sie einen Wunsch für den Leichtbau oder Ihr Unternehmen frei hätten, was würden Sie sich wünschen?

Ingo Berbig: Eine noch stärkere Vernetzung und damit verbundene Kooperationen in möglichst vielen spannenden Anwendungsgebieten, auf und neben dem Fahrrad.


Kontakt zu Ingo Berbig

Ansprechpartner für (An)Fragen: Tim Sender


Weitere Interviews mit Ingo Berbig finden sich bei Future Sax und auf der Webseite So geht sächsisch.

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