Welche wirtschaftliche Bedeutung hat der Leichtbau in Deutschland?

„Leichtbau macht 4 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung aus.“ So titelt die Pressemitteilung des BMWK, das erstmals die Marktstudie zur ökonomischen Bedeutung des Leichtbau in Deutschland veröffentlich hat. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass der direkte Wertschöpfungsbeitrag des Leichtbaus inklusive der zugehörigen Dienstleistungen rund 124 Milliarden Euro und damit knapp 4 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung umfasst. Doch – wieviel ist das eigentlich?

Bild oben: Mit weniger Material erreicht der Leichtbau eine hohe Wertschöpfung und wird wirtschaftliches Schwergewicht. (Quelle: Depositphotos | Sashkin7)

Vier Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung im Jahr 2019 – auf dieses Vor-Corona-Jahr nimmt die Studie Bezug, um einen Benchmark, einen Startpunkt ohne Sondereinflüsse zu definieren – entsprechen 124,3 Milliarden Euro. Das ist mehr als der Maschinenbau im gleichen Betrachtungszeitraum [1] (105 Milliarden Euro) erwirtschaftet hat und in etwa soviel wie der Tourismus zur Wirtschaftsleistung beiträgt – ebenfalls im Vor-Corona-Jahr [2] . Dabei gilt der Tourismus als eine der umsatzstärksten Branchen im Land.

Aber ist die deutsche Automobilindustrie nicht noch stärker… – nein. Bei Betrachtung der Zahlen läuft der Leichtbau der Automobilindustrie sogar den Rang ab. Und das nicht erst seit die deutsche Automobilindustrie deutlich unter Druck ist, sondern bereits 2019: Die Bruttowertschöpfung durch die Automobilindustrie betrug 2019 insgesamt 102,05 Milliarden Euro und damit rund ein Fünftel weniger als der Leichtbau.

Doch damit nicht genug:

„Inklusive der Effekte in der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette kann für bis zu 244,6 Milliarden Euro Wertschöpfung ein unmittelbarer oder mittelbarer Leichtbaubezug festgestellt werden. Die Wertschöpfungsmultiplikatoren als Maßzahl des volkswirtschaftlichen Hebels einer Branche für den Rest der Wirtschaft liegen mit Werten um 2,0 sehr hoch.“
Zitat aus „Die ökonomische Bedeutung des Leichtbaus in Deutschland“ [6] von Anna Kleissner, Harald Eidenberger, Sabine Schöffmann und Manfred Stadlbauer, alle Econmove

Wiederum zum Vergleich, um diese Zahlen einordnen zu können:

  • Das gesamte produzierende Gewerbe inklusive Baugewerbe hatte 2019 eine Bruttowertschöpfung von 906,03 Milliarden Euro. [3]
  • Einen ähnlich hohen Wertschöpfungmultiplikator hat beispielsweise die chemische- und pharmazeutische Industrie mit 2,08 [4]

So hohe Werte hatte niemand erwartet. Das darf ich sicher aus Backstage-Gesprächen während des 5. Lightweighting Summit in Hannover ausplaudern, als die ersten Vorab-Ergebnisse der Studie vorgestellt wurden. Denn die wirtschaftliche Bedeutung des Leichtbau war in Deutschland nie zuvor erfasst worden. Vorreiter für die Studiensystematik war Österreich, das 2023 die erste Studie in Auftrag gegeben hatte – und ebenfalls durch die hohe Bedeutung des Leichtbau positiv überrascht wurde: „Studie der A2LT: Der Leichtbau ist wirtschaftliches Schwergewicht“. Die Zahlen für Schweden sind nun zeitgleich publiziert worden. Verwendet man nun einheitliche Definitionen und Methoden und entwickelt die Leichtbau-Satellitenkonten kontinuierlich weiter, könnte man die wirtschaftliche Bedeutung des Leichtbau europaweit sichtbarer machen. In diesem Zusammenhang könnte das European Lightweighting Network (ELN) eine treibende Rolle übernehmen.

Warum ein „Satellitenkonto“ Leichtbau?

Um die wirtschaftliche Bedeutung des Leichtbau derart qualifiziert und vergleichbar zu erfassen, genügte es für die Studien nicht, einen Blick in die üblichen landeseigenen oder regionalen Statistiken zu werfen, denn dort kommt der Leichtbau als Klassifikation in der Regel nicht vor. Daher wurde für die Studie eine Methodik benutzt, die auch beispielsweise für die Einschätzung des Tourismus oder der Sportbranche verwendet wird: ein Satellitenkonto.

Das Erstellen und das Verwenden von Satellitenkonten ist in Europa harmonisiert und geregelt (siehe Kasten). „Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich beim Leichtbau-Satellitenkonto um eine leichtbaurelevante Datensammlung, welche mit einer Input-Output-Tabelle verknüpft wird“, so erklärt es die Studie: „Mittels Input-Output-Analyse können nicht nur die direkten Effekte auf Bruttowertschöpfung und Beschäftigung, sondern auch die Auswirkungen in der vor- (indirekte Effekte) und nachgelagerten (induzierte Effekte) Wertschöpfungskette berechnet werden.“

Satellitenkonten liefern einen mit der zentralen (nationalen oder regionalen) Rechnungsführung verknüpften Rahmen, mit denen der Schwerpunkt auf einen bestimmten Bereich oder Aspekt des wirtschaftlichen und sozialen Lebens gelegt werden kann. Gängige Beispiele sind Satellitenkonten für die Umwelt, den Tourismus oder unbezahlte Hausarbeit. [5]

Mit der jetzt veröffentlichten Studie, die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz BMWK beauftragt worden war, ist es also erstmals möglich, die volkswirtschaftliche Bedeutung und das ökonomische Potenzial des Leichtbau statistisch darzulegen und zu quantifizieren: Im Jahr 2019 wurden in Deutschland Güter und Dienstleistungen mit Leichtbaubezug im Wert von knapp 360 Milliarden Euro erzeugt. Das entspricht einem Anteil von etwa 5,5 Prozent des gesamten deutschen Bruttoproduktionswerts.

„Der Leichtbau hat als ausgeprägte Querschnittsbranche entlang der gesamten Wertschöpfungskette eine hohe ökonomische Relevanz und ist Innovationstreiber in vielen Hochtechnologiebereichen. Außerdem hat er eine hohe Bedeutung für die Erreichung der Nachhaltigkeits- und Klimaziele mit Blick auf die Reduzierung von Treibhausgasemissionen und die Schonung natürlicher Ressourcen. Mit der jetzt veröffentlichten Studie wird der Relevanz der Branche, die sich durch ihren Querschnittscharakter nicht so leicht ökonomisch beziffern lässt, erstmals Rechnung getragen. Die Studie macht deutlich wie wichtig und bedeutsam der Sektor für die Transformation der Industrie ist.“
Staatssekretär Udo Philipp, BMWK

Außerdem weisen in Deutschland etwa 2,9 % der Arbeitsplätze einen direkten Bezug zum Leichtbau auf, dies entspricht etwa 1,3 Millionen Arbeitsplätzen. Zu den wichtigsten produzierenden Sektoren mit Leichtbaubezug zählen die Herstellung von Kraftwagen, der Maschinenbau, der sonstige Fahrzeugbau (dieser umfasst unter anderem auch den Schiffsbau, Flug- und Raumfahrtbau) sowie die Herstellung von Metallerzeugnissen.

Die 5 wichtigsten Marktdaten zum Leichtbau

  1. Im Jahr 2019 wurden in Deutschland Güter und Dienstleistungen mit Leichtbaubezug im Wert von knapp 360 Milliarden Euro erzeugt. Das entspricht einem Anteil von ca. 5,5 Prozent des gesamten deutschen Bruttoproduktionswerts.
  2. Die direkten Wertschöpfungsbeiträge des Leichtbaus liegen bei etwa 124,3 Milliarden Euro (Leichtbau inklusive Dienstleistungen) und damit in einer Größenordnung von knapp 4 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung.
  3. Inklusive der Effekte in der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette kann für bis zu 244,6 Milliarden Euro Wertschöpfung ein unmittelbarer oder mittelbarer Leichtbaubezug festgestellt werden. Die Wertschöpfungsmultiplikatoren als Maßzahl des volkswirtschaftlichen Hebels einer Branche für den Rest der Wirtschaft liegen mit Werten um 2,0 sehr hoch.
  4. Der Leichtbau ist deutlich wertschöpfungsintensiver als beschäftigungsintensiv. Dennoch wurden 2019 bereits mehr als 1,3 Millionen Arbeitsplätzen, durch den Leichtbau gesichert oder geschaffen.
  5. In der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette werden vor allem beschäftigungsintensive Sektoren angeregt. Die Beschäftigungsmultiplikatoren erreichen überdurchschnittlich hohe Werte von 2,4 bis 2,66. Der gesamte Beschäftigungseffekt erhöht sich demnach auf fast 3,2 Millionen Arbeitsplätze in der Definition inklusive Dienstleistungen.

Wie wird sich die Bedeutung des Leichtbau entwickeln?

Wenn es um die Zukunft einer Branche oder Technologie geht, ist die Entwicklung der Patentanmeldungen ein wichtiger Indikator. Auch diesen Bereich berücksichtigt die jetzt vorgelegte Studie. Dabei ist der globale Vergleich heranzuziehen: Hier zeigt die Studie auf, dass Deutschland über die vergangenen zehn Jahre im internationalen Vergleich stabil auf Rang drei liegt – hinter Korea und Japan. Die Plätze vier und fünf belegen Österreich und Finnland.

„Der Leichtbau zählt – das zeigt diese erste Studie deutlich – zu den Schlüsselsektoren der deutschen Wirtschaft. Die Ergebnisse für 2019 müssen nun mit den jeweils aktuell zur Verfügung stehenden Zahlen aktualisiert werden. Erste Hochrechnungen für das Jahr 2023 zeigen, dass sich der Leichtbau rasch und schneller als der deutschlandweite Durchschnitt wieder erholen konnte und mit einem leichten Minus von 7.000 Arbeitsplätzen nun beinahe wieder den Beschäftigungsstand aus 2019 erreichen konnte.  Hinsichtlich der generierten Wertschöpfung ist nominell davon auszugehen, dass das Niveau aus 2019 im Jahr 2023 bereits übertroffen werden konnte.“ [6]

Leichtbau spart Material und senkt CO2-Emissionen. Damit macht er unseren ökologischen Fussabdruck leichter – und das bei gleichzeitiger Verbesserung der Funktionalität von Bauteilen und Produkten. Genau deshalb wird sein ökonomischer Fußabdruck von Jahr zu Jahr deutlicher sichtbar werden, davon bin nicht nur ich überzeugt. In einer Zeit, in der Deutschlands Industrie unter massivem Druck steht, Rahmenbedingungen schwierig sind, zeigt sich der Leichtbau nicht nur stabil, sondern stabil wachsend. So ist er Hoffnungsträger für eine gelingende Transformation der Industrie in eine nachhaltige Zukunft, in der Deutschland und Europa mit diesen Technologien eine hohe Wertschöpfung und neue Wettbewerbsfähigkeit erlangen können.

Im Rahmen des 11. Forum Leichtbau, das kürzlich in Berlin stattfand, wurde der neue Imagefilm Leichtbau des BMWK präsentiert, der anschaulich zeigt, wie viele unterschiedliche Lebensbereiche des Alltags durch Leichtbautechnologien bereichert werden: „Die Zukunft ist Leichtbau“

Verwendete Quellen:

[1] https://xpert.digital/pdf-x-reihe/unternehmen/Maschinenbau-in-Deutschland-X.pdf
[2] http://www.btw.de/tourismus-in-zahlen/wirtschaftsfaktor-tourismus.html
[3] https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Konjunkturindikatoren/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen/vgr210.html#
[4] https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Report/PDF/2022/IW-Report_2022-Chemie_Branchenportrait-neu.pdf
[5] https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Glossary:Satellite_account/de
[6] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/Studien/studie-bedeutung-des-leichtbaus-in-deutschland-endbericht.pdf?__blob=publicationFile&v=2
Quelle und weitere Infos: Pressemitteilung des BMWK


Christine Koblmiller

Autor: Christine Koblmiller, Redakteurin, Gründerin, Fachjournalistin aus Leidenschaft und überzeugter Leichtbau-Fan.

Mit dem Metamagazin Leichtbauwelt.de habe ich 2018 ein neues Medienformat im B2B-Umfeld geschaffen. Leichtbauwelt ist Inspiration für Ihren Fortschritt und Wissen, wie’s leicht wird. Leichtbauwelt verlinkt, vernetzt und ordnet ein, verlagsunabhängig und transparent. Partei ergreife ich nur für den Leichtbau, von dessen Nutzen ich überzeugt bin.

Seit etwa 25 Jahren bin ich Redakteurin für technische B2B-Fachzeitschriften. Für verschiedene führende Fachmagazine habe ich als eBusiness-Projektmanager Industrie schon 2001 crossmediale Angebote eingeführt, denn die Digitalisierung aller Lebensbereiche hat Einfluss auf unser Informationsverhalten. Deshalb bin ich mir sicher, dass sich die Medienbranche wandeln muss. Mehr über mich finden Sie unter Conkomm, auf Xing oder LinkedIn.

„Leichtbau fasziniert und begeistert. Die Entwicklung von Leichtbauwelt über die letzten Jahre zeigt, dass der Markt unser Angebot braucht und gerne annimmt.“

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