Bionik: Steifes Papier, das auf Knopfdruck elastisch wird

Intelligente Materialien, die lebensartige Eigenschaften aufweisen: Auf diesem Gebiet forscht Andreas Walther, Professor für Makromolekulare Chemie an der Universität Mainz. Ihm und seinem Team ist es jetzt gelungen, hauchdünnes, steifes Nano-Papier zu entwickeln, das auf Knopfdruck augenblicklich weich und elastisch wird.

„Wir haben das Material mit einem Mechanismus versehen, sodass die Festigkeit und Steifheit über einen elektrischen Schalter moduliert werden kann.“
Andreas Walther, Professor für Makromolekulare Chemie an der Universität Mainz

Relevant ist dies laut Walther für mechanische Materialien, die somit bruchresistenter gestaltet werden können, oder für adaptive Dämpfungsmaterialien, die beispielsweise bei Überlastung von steif auf nachgiebig switchen.

Sobald elektrischer Strom fließt, wird das Nano-Papier weich; stoppt der Stromfluss, erhält es seine Festigkeit zurück. Aus Anwendungsperspektive könnte diese Schaltbarkeit zum Beispiel für Dämpfungsmaterialien interessant sein. Das jetzt in „Nature Communications“ publizierte Arbeitsergebnis entstand wesentlich in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern an Walthers vorheriger Wirkungsstätte, der Universität Freiburg, des dortigen „Zentrums für interaktive Werkstoffe und bioinspirierte Technologien (FIT)“ und des von Walther mitgegründeten DFG Exzellenzclusters „Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems (livMatS)“.

Die Steifheit des Zellulose-Nanopapiers ändert sich mit der Stromzufuhr. (Quelle: Andreas Walther)

Das Vorbild aus der Natur für diese Entwicklung ist die Seegurke. Diese Meeresbewohner verfügen über einen besonderen Verteidigungsmechanismus: Wenn sie in ihrem Lebensraum von Fressfeinden attackiert werden, können die Tiere ihr Gewebe anpassen und verstärken, sodass ihr weiches Äußeres unmittelbar versteift.

Dieses Grundprinzip des natürlichen Vorbilds haben die Forschenden mit einem technisch attraktiven Material und einem ebenfalls attraktiven Schaltmechanismus in abgewandelter Form nachgeahmt. Sie haben dazu Zellulose-Nanofibrillen verwendet, die aus der Zellwand von Bäumen extrahiert und aufgearbeitet werden. Nanofibrillen sind noch feiner als die Mikrofasern im Papier und ergeben ein komplett durchsichtiges, fast glasartiges Papier. Das Material ist steif und zugfest und wird im Leichtbau verwendet. Seine Eigenschaften seien mit denen von Aluminiumlegierungen vergleichbar, berichten die Forscher. In ihrer Studie haben sie an diese Zellulose-Nanofibrillen Strom angelegt. Über speziell designte molekulare Veränderungen wurde das Material daraufhin flexibel – der Prozess ist umkehrbar.

Auf molekularer Ebene wird bei dem Vorgang das Ausgangsmaterial durch die Stromzufuhr erwärmt und in der Folge werden Vernetzungspunkte reversibel gebrochen. Das Material erweicht als Funktion der angelegten Spannung, das heißt je höher die Spannung, desto mehr Vernetzungspunkte brechen und desto weicher wird das Material. Während aktuell noch eine Stromquelle benötigt wird, um die Reaktion zu starten, wäre das nächste Ziel ein Material mit einem eigenen Energiespeichersystem, sodass die Reaktion praktisch intern ausgelöst wird, sobald beispielsweise eine Überlastung eintritt und Dämpfung notwendig würde.

Andreas Walther hat bei dieser Arbeit eng mit seinen Kollegen von der Universität Freiburg kooperiert. Er ist einer der Gründer des Freiburger Exzellenzclusters „Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems“ (livMatS), in dem er sich weiterhin als assoziierter Wissenschaftler engagiert. Seit Oktober 2020 ist Walther Professor für Makromolekulare Chemie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und außerdem Fellow des Gutenberg Forschungskollegs der JGU.

Quelle und weitere Infos: Pressemitteilung Livmats, Pressemitteilung JGU Mainz, Springer Professional, Nature Communications

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